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Samstag, 27. April 2013
00000001 - Der Fembot
mercury mailer, 12:02h
Die Aufregung war Alexander deutlich anzusehen, als er in Andreas’ Büro stürmte. Und das, obwohl Empathie nicht gerade zu dessen Stärken gehörte. Den Schweißgeruch des plötzlichen Eindringlings nahm Andreas deutlich wahr, und angewidert rümpfte er die Nase. Auf der zu hoch geratenen Stirn des Mannes, der die Tür auf- und Andreas aus seinem Gedankengang herausgerissen hatte, waren deutlich die Schweißperlen zu sehen, die seine Hast durch den Flur verursacht hatte. Unter den Achseln bemerkte Andreas dunkle Flecken an Alexanders weißem Hemd, die sich langsam ausbreiteten.
Dass Alexander schwitzte, war nichts ungewöhnliches. Immerhin war er genauso breit wie hoch - ein Tribut unzähliger Pizzen, die sich der Programmierer in so mancher Nachtschicht reingeschoben hatte. Jetzt stand er in Andreas’ Allerheiligstem und platzte mit seiner bahnbrechenden Neuigkeit heraus: “Er funktioniert! Der Fembot funktioniert!”
Das beeindruckte Andreas nicht im geringsten. “Schön”, sagte er emotionslos, wie er es oft zu tun pflegte. Auch er stand gerade vor einem wichtigen Durchbruch. Die Künstliche Intelligenz, die seine Firma zu entwickeln sich vorgenommen hatte, war nicht mehr weit entfernt.
“Weißt du denn, was das bedeutet?” fragte Alexander aufgeregt, und schon stürmte er auf Andreas’ Computer zu, stieß ihn unsanft zur Seite und öffnete ein neues Browserfenster.
“Der Fembot ist eine Anwendung der künstlichen Intelligenz”, dozierte Andreas. “Ein Programm, das die Verhaltensweise paarungswilliger Frauen imitiert, das auf die Anmachversuche männlicher Chat-Teilnehmer reagiert und das dazu lernt.”
“Ja, künstliche Intelligenz”, rief Alexander aufgeregt. “Und es funktioniert. Ich habe es lange getestet - und unzählige Telefonnummern von Männern eingesackt.”
“Was willst du denn mit Telefonnummern von Männern?”
“Die von Frauen sind wesentlich schwerer zu bekommen.”
“Ah!”
Alexander rief die Flirtchat-Seite auf Lemuria auf und loggte sich ein.
“Julia25", bemerkte Andreas.
“Hey, was hast du gegen den Nick? Nach Umfragen ist Julia der Frauenname, unter den sich Männer mit größter Wahrscheinlichkeit eine attraktive Frau vorstellen. Und 25 ist das Alter, mit dem eine Frau mit größter Wahrscheinlichkeit flirtwillige Männer anziehen kann. So, jetzt pass mal auf, was passiert.”
“Ist das Programm schon aktiviert?”
“Ja. Pass mal auf.”
Ratzfatz - und zwar zehnmal so schnell wie ein richtiger Mensch - hatte Julia25 sämtliche Männer im Chat angesprochen - alle mit der etwas plumpen, aber bei vielen Männern durchaus erfolgreichen Anrede: “Hi, Süßer!”
Es dauerte ein wenig, bis der erste antwortete, doch Julia25 war um eine Antwort nicht verlegen - und vor allem: sie konnte unterschiedliche Antworten auf einmal produzieren. Ein Mann, Peter36, antwortete mit: “Woher weißt du, dass ich süß bin?” Julia25 entgegnete: “Tja, ich kann hellsehen.”
Wieder ein anderer, MasterOfDesaster, entgegnete: “Hi, Süße, wie wär’s mit uns beiden?” Julia25 schrieb: “Aber hallo, du gehst ja hart dran!”
Dann gab es einen Chatter mit Namen The_Incredible_Hulk. Er schrieb: “Hey, wie geht’s?” Und Julia antwortete: “Blendend. Und dir?”
Doch damit nicht genug. Julia gelang es, sie alle um den Finger zu wickeln. Fragen nach der Telefonnummer wich sie allerdings aus. Dafür verlangte sie die Nummern der Herren - und bekam sie auch. Und das alles wie ganz von allein.
Andreas sah ungläubig auf den Bildschirm. “So, und jetzt das ganze bitte als Mann, der Frauen an baggert.”
“Wie ich schon sagte: Das ist nicht so einfach.”
“Warum nicht?”
“Also, erstens sind Frauen längst nicht so flirtwillig wie Männer. Zweitens sind sie skeptischer. Und drittens sind sie komplett irrational. Wenig berechenbar. Ich kann einen Fembot mit nur wenigen Algorithmen steuern. Für einen Malebot, der Telefonnummern von Frauen sammeln soll, brauchen wir das Hundertfache an Algorithmen - und vielleicht müssen wir sogar auf das Trinäre System ausweichen.”
Das Trinäre System. Andreas kannte die Theorie: Um irrationale Prozesse wie beispielsweise Emotionen in eine künstliche Intelligenz einzubauen, reichte ein binäres System nicht mehr aus. Alle Computer und Computerprogramme waren auf ein ganz simples Muster zurückzuführen: 0 und 1. 0 bedeutete, es floss kein Strom. 1 bedeutete, es floss Strom. Aus Nullen und Einsen war die komplette virtuelle Welt aufgebaut. Alle Texte, Bilder, Videos, Musikstücke - all das war in simplen Nullen und Einsen kodiert.
Aber Menschen funktionierten anders. Da gab es nicht nur ja und nein, 0 und 1. Da gab es auch die Grautöne. Und so spekulierten einige, für eine künstliche Intelligenz bräuchte es ein trinäres System. Neben 0 und 1, ja und nein, sollte auch eine 2 hinzukommen, ein Vielleicht. Noch war das alles nur Spekulation - aber war es tatsächlich möglich, Emotionen durch ein trinäres System zu kodieren?
Andreas wusste es nicht. Für ihn waren Emotionen ein Buch mit sieben Siegeln - speziell die Emotionen anderer. Aber auch seine eigenen konnte er nicht immer verstehen. Oft verspürte er starke Gefühle, und er fühlte sich schlecht, aber er wusste nicht, weswegen und wie er etwas an seiner Situation ändern konnte.
“Sieh es als Herausforderung”, sagte Andreas. “Programmiere einen Malebot - einen, der mir die Telefonnummern schöner Frauen besorgen kann.”
“Wir brauchen keine schönen Frauen”, sagte Alexander. “Wir brauchen Frauen, die zu uns passen. Die Sabine in der Buchhaltung - wäre die nichts für dich?”
“Naja”, sagte Andreas, aber er hielt ansonsten besser die Klappe. Frauen in der eigenen Firma waren definitiv nichts für ihn. Wenn er sich nun verliebte, und sie hatte kein Interesse an ihm - oder sie hatte durchaus Interesse, aber die Beziehung ging in die Brüche - was dann?
“Geh mal aus”, schlug Alexander vor. “Vielleicht kommst du auf andere Gedanken.”
“Du weißt genau, dass ich das nicht mag. Ausgehen. Das ist nichts für mich.”
“Wann warst du denn das letzte Mal aus?”
“Im Studium.”
“Wie lange ist das jetzt her?”
“Zehn Jahre.”
“Du meine Güte. Du warst die vergangenen zehn Jahre niemals aus?”
“Es macht mir keinen Spaß. Lauter Leute, die ich nicht kenne und von denen ich nicht weiß, ob ich ihnen trauen kann. Laute Musik, wegen der ich nicht hören kann, was die anderen Leute reden. Am Ende sitze ich nur unbeteiligt am Tisch, wenn ich in einer Kneipe bin. Oder ich mache ungeschickte Tanzbewegungen im grellen Licht einer Diskothek, von dem ich ohnehin nur Kopfschmerzen kriege. Ich konnte nie verstehen, was so toll ist am Ausgehen. Ich habe es trotzdem gemacht, um mit Freunden etwas zu erleben - oder vielleicht um eine Frau kennen zu lernen. Aber ich habe über das Internet mehr Frauen kennen gelernt als durch das Ausgehen. Also, was soll am Ausgehen so toll sein? Vor allem unter der Woche. Dann bin ich am Morgen noch viel mehr am Arsch als ohnehin schon.”
Alexander seufzte. “Ein großer Fan vom Ausgehen bin ich jetzt auch nicht. Aber ab und zu mal. Ich meine, wenigstens mal auf ein Konzert oder so.”
“Ja, und hinterher habe ich wieder Kopfschmerzen, weil die Musik so laut war.”
“Du bist echt eine Mimose.”
“Ich bin keine Mimose. Ich bin nur anders. Und jetzt lass mich wieder allein.”
“Du bist gerne allein, stimmt’s?”
“Was ist so schlimm daran?”
Alexander stand auf und ging auf die Tür zu. “Gut. Wie du willst. Ich werde versuchen, einen Malebot zu programmieren. Aber denk daran: Frauen sind nur schwer berechenbar. Ich weiß nicht, ob er funktionieren wird.” Er schloss die Tür hinter sich.
Andreas konzentrierte sich wieder auf die Algorithmen vor ihm auf dem Bildschirm. Und plötzlich hatte er eine Idee.
Dass Alexander schwitzte, war nichts ungewöhnliches. Immerhin war er genauso breit wie hoch - ein Tribut unzähliger Pizzen, die sich der Programmierer in so mancher Nachtschicht reingeschoben hatte. Jetzt stand er in Andreas’ Allerheiligstem und platzte mit seiner bahnbrechenden Neuigkeit heraus: “Er funktioniert! Der Fembot funktioniert!”
Das beeindruckte Andreas nicht im geringsten. “Schön”, sagte er emotionslos, wie er es oft zu tun pflegte. Auch er stand gerade vor einem wichtigen Durchbruch. Die Künstliche Intelligenz, die seine Firma zu entwickeln sich vorgenommen hatte, war nicht mehr weit entfernt.
“Weißt du denn, was das bedeutet?” fragte Alexander aufgeregt, und schon stürmte er auf Andreas’ Computer zu, stieß ihn unsanft zur Seite und öffnete ein neues Browserfenster.
“Der Fembot ist eine Anwendung der künstlichen Intelligenz”, dozierte Andreas. “Ein Programm, das die Verhaltensweise paarungswilliger Frauen imitiert, das auf die Anmachversuche männlicher Chat-Teilnehmer reagiert und das dazu lernt.”
“Ja, künstliche Intelligenz”, rief Alexander aufgeregt. “Und es funktioniert. Ich habe es lange getestet - und unzählige Telefonnummern von Männern eingesackt.”
“Was willst du denn mit Telefonnummern von Männern?”
“Die von Frauen sind wesentlich schwerer zu bekommen.”
“Ah!”
Alexander rief die Flirtchat-Seite auf Lemuria auf und loggte sich ein.
“Julia25", bemerkte Andreas.
“Hey, was hast du gegen den Nick? Nach Umfragen ist Julia der Frauenname, unter den sich Männer mit größter Wahrscheinlichkeit eine attraktive Frau vorstellen. Und 25 ist das Alter, mit dem eine Frau mit größter Wahrscheinlichkeit flirtwillige Männer anziehen kann. So, jetzt pass mal auf, was passiert.”
“Ist das Programm schon aktiviert?”
“Ja. Pass mal auf.”
Ratzfatz - und zwar zehnmal so schnell wie ein richtiger Mensch - hatte Julia25 sämtliche Männer im Chat angesprochen - alle mit der etwas plumpen, aber bei vielen Männern durchaus erfolgreichen Anrede: “Hi, Süßer!”
Es dauerte ein wenig, bis der erste antwortete, doch Julia25 war um eine Antwort nicht verlegen - und vor allem: sie konnte unterschiedliche Antworten auf einmal produzieren. Ein Mann, Peter36, antwortete mit: “Woher weißt du, dass ich süß bin?” Julia25 entgegnete: “Tja, ich kann hellsehen.”
Wieder ein anderer, MasterOfDesaster, entgegnete: “Hi, Süße, wie wär’s mit uns beiden?” Julia25 schrieb: “Aber hallo, du gehst ja hart dran!”
Dann gab es einen Chatter mit Namen The_Incredible_Hulk. Er schrieb: “Hey, wie geht’s?” Und Julia antwortete: “Blendend. Und dir?”
Doch damit nicht genug. Julia gelang es, sie alle um den Finger zu wickeln. Fragen nach der Telefonnummer wich sie allerdings aus. Dafür verlangte sie die Nummern der Herren - und bekam sie auch. Und das alles wie ganz von allein.
Andreas sah ungläubig auf den Bildschirm. “So, und jetzt das ganze bitte als Mann, der Frauen an baggert.”
“Wie ich schon sagte: Das ist nicht so einfach.”
“Warum nicht?”
“Also, erstens sind Frauen längst nicht so flirtwillig wie Männer. Zweitens sind sie skeptischer. Und drittens sind sie komplett irrational. Wenig berechenbar. Ich kann einen Fembot mit nur wenigen Algorithmen steuern. Für einen Malebot, der Telefonnummern von Frauen sammeln soll, brauchen wir das Hundertfache an Algorithmen - und vielleicht müssen wir sogar auf das Trinäre System ausweichen.”
Das Trinäre System. Andreas kannte die Theorie: Um irrationale Prozesse wie beispielsweise Emotionen in eine künstliche Intelligenz einzubauen, reichte ein binäres System nicht mehr aus. Alle Computer und Computerprogramme waren auf ein ganz simples Muster zurückzuführen: 0 und 1. 0 bedeutete, es floss kein Strom. 1 bedeutete, es floss Strom. Aus Nullen und Einsen war die komplette virtuelle Welt aufgebaut. Alle Texte, Bilder, Videos, Musikstücke - all das war in simplen Nullen und Einsen kodiert.
Aber Menschen funktionierten anders. Da gab es nicht nur ja und nein, 0 und 1. Da gab es auch die Grautöne. Und so spekulierten einige, für eine künstliche Intelligenz bräuchte es ein trinäres System. Neben 0 und 1, ja und nein, sollte auch eine 2 hinzukommen, ein Vielleicht. Noch war das alles nur Spekulation - aber war es tatsächlich möglich, Emotionen durch ein trinäres System zu kodieren?
Andreas wusste es nicht. Für ihn waren Emotionen ein Buch mit sieben Siegeln - speziell die Emotionen anderer. Aber auch seine eigenen konnte er nicht immer verstehen. Oft verspürte er starke Gefühle, und er fühlte sich schlecht, aber er wusste nicht, weswegen und wie er etwas an seiner Situation ändern konnte.
“Sieh es als Herausforderung”, sagte Andreas. “Programmiere einen Malebot - einen, der mir die Telefonnummern schöner Frauen besorgen kann.”
“Wir brauchen keine schönen Frauen”, sagte Alexander. “Wir brauchen Frauen, die zu uns passen. Die Sabine in der Buchhaltung - wäre die nichts für dich?”
“Naja”, sagte Andreas, aber er hielt ansonsten besser die Klappe. Frauen in der eigenen Firma waren definitiv nichts für ihn. Wenn er sich nun verliebte, und sie hatte kein Interesse an ihm - oder sie hatte durchaus Interesse, aber die Beziehung ging in die Brüche - was dann?
“Geh mal aus”, schlug Alexander vor. “Vielleicht kommst du auf andere Gedanken.”
“Du weißt genau, dass ich das nicht mag. Ausgehen. Das ist nichts für mich.”
“Wann warst du denn das letzte Mal aus?”
“Im Studium.”
“Wie lange ist das jetzt her?”
“Zehn Jahre.”
“Du meine Güte. Du warst die vergangenen zehn Jahre niemals aus?”
“Es macht mir keinen Spaß. Lauter Leute, die ich nicht kenne und von denen ich nicht weiß, ob ich ihnen trauen kann. Laute Musik, wegen der ich nicht hören kann, was die anderen Leute reden. Am Ende sitze ich nur unbeteiligt am Tisch, wenn ich in einer Kneipe bin. Oder ich mache ungeschickte Tanzbewegungen im grellen Licht einer Diskothek, von dem ich ohnehin nur Kopfschmerzen kriege. Ich konnte nie verstehen, was so toll ist am Ausgehen. Ich habe es trotzdem gemacht, um mit Freunden etwas zu erleben - oder vielleicht um eine Frau kennen zu lernen. Aber ich habe über das Internet mehr Frauen kennen gelernt als durch das Ausgehen. Also, was soll am Ausgehen so toll sein? Vor allem unter der Woche. Dann bin ich am Morgen noch viel mehr am Arsch als ohnehin schon.”
Alexander seufzte. “Ein großer Fan vom Ausgehen bin ich jetzt auch nicht. Aber ab und zu mal. Ich meine, wenigstens mal auf ein Konzert oder so.”
“Ja, und hinterher habe ich wieder Kopfschmerzen, weil die Musik so laut war.”
“Du bist echt eine Mimose.”
“Ich bin keine Mimose. Ich bin nur anders. Und jetzt lass mich wieder allein.”
“Du bist gerne allein, stimmt’s?”
“Was ist so schlimm daran?”
Alexander stand auf und ging auf die Tür zu. “Gut. Wie du willst. Ich werde versuchen, einen Malebot zu programmieren. Aber denk daran: Frauen sind nur schwer berechenbar. Ich weiß nicht, ob er funktionieren wird.” Er schloss die Tür hinter sich.
Andreas konzentrierte sich wieder auf die Algorithmen vor ihm auf dem Bildschirm. Und plötzlich hatte er eine Idee.
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