Montag, 24. Juni 2013
00100101 - Doppelspaltexperiment
mercury mailer, 22:40h
Mit dem Ende der zehnten Klasse trennten sich die Wege von Robert und Andreas - für Andreas zum Glück. Robert war es egal. Er stürzte sich in das Leben. Und das bedeutete: Mädchen. Während Andreas weiterhin kein Glück in der Liebe hatte, entwickelte sich Robert zum Mädchenschwarm. Er wusste nicht, warum, aber ihre Herzen schienen ihm nur so zuzufliegen. Hätte ihn jemand, zum Beispiel Andreas, nach dem Trick, nach dem Geheimnis seines Erfolgs gefragt, er hätte nur die Schultern gezuckt.
Doch von seinen späteren Erfolgen war Robert noch weit entfernt. Oft genug kassierte er Körbe. Oft genug fand er keinen Parkplatz. Und da er sich, vor allem nachdem er 18 geworden war, ins Nachtleben stürzte, wurden auch seine Leistungen in der Schule schlechter. Er wurde ein Lebemann. Mädchen, Partys und Alkohol bestimmten sein Leben. Trotzdem schaffte er sein Abitur. Zwar nicht unbedingt mit dem besten Notenschnitt, aber er war intelligent genug, nicht völlig unterzugehen.
Nach der Schule kam er als Wehrpflichtiger zur Bundeswehr. Dort gefiel es ihm außerordentlich gut - so gut, dass er schon mit dem Gedanken spielte, sich als Zeitsoldat zu verpflichten. Doch er entschied sich dagegen, weil er in der Bundeswehr keinen Sinn mehr sah. Der Kalte Krieg war vorbei, und neue Aufgaben für NATO und Bundeswehr waren noch nicht in Sicht. Einer seiner Kameraden sagte, dass nach dem alten Blocksystem bald ein neues kommen werde, dass der Islam der neue Feind des Westens werden würde. Niemand schenkte ihm so recht Beachtung. Auch nicht als dieser Kamerad behauptete, in nicht allzu ferner Zukunft werde es einen Terroranschlag geben, der alles bisher Dagewesene in den Schatten stellen sollte. Einen Terroranschlag mit mehreren tausend Toten. Robert lachte ihn aus, doch am 11. September 2001, als er die Bilder vom einstürzenden World Trade Center im Fernsehen sah, dachte er zurück an seinen Kameraden, und als dann die ersten Zeitsoldaten in den Krieg nach Afghanistan abgezogen wurden, war er richtig froh, dass er nicht diesen Weg gegangen war.
Nachdem sein Dienst bei der Bundeswehr beendet war, nahm er in Heidelberg ein Physikstudium auf. Nicht dass er sich besonders dafür interessiert hätte. Er hatte nur in der Schule in Mathematik und Physik die besten Noten gehabt und war deshalb zur der Ansicht gelangt, dass ihm das wohl am meisten läge. Allerdings hatte er Unrecht. Der erfolgsverwöhnte Student musste sein gewohntes Alkohol-und-Frauen-Leben sausen lassen. Tag und Nacht brütete er über mathematische Formeln. In der Mathematik-Vorlesung verstand er oft nur Bahnhof. In den Physik-Vorlesungen dagegen blühte er auf. Ihm erschloss sich eine höchstinteressante Welt, die ihn immer mehr faszinierte - die Welt der Naturwissenschaften. Bis eines Tages in ihm alle Sicherungen durchbrannten.
Es war das erste Mal in seinem Leben, dass er etwas vom Doppelspaltexperiment gehört hatte. Der Professor erklärte es nicht nur seinen Studenten. Er führte es selber durch. Er jagte tatsächlich Elektronen durch den Doppelspalt. Er ließ die Studenten live an den ebenso sensationellen wie merkwürdigen Ergebnissen teilhaben. Und an der Stelle, an der die Elektronen, wenn sie beobachtet wurden, ein Doppelspaltmuster zeichneten, nachdem sie zuvor unbeobachtet noch ein Inteferenzmuster gebildet hatten, stand Robert auf und sagte: “Es reicht mir! Merkt ihr denn nicht, dass wir alle verarscht werden?”
“Junger Mann, zügeln Sie sich!” sagte der Professor streng. “Ich habe nicht vor, irgendwen, wie Sie es sagen, zu verarschen. Das hier ist ein Naturphänomen.”
“Ein Naturphänomen, das uns an der Nase herum führt!” sagte Robert. “Entweder sind die Elektronen intelligent, oder sie werden von einer intelligenten Macht gesteuert. Woher sollen sie sonst wissen, dass sie beobachtet werden?”
“Jetzt beruhigen Sie sich wieder”, sagte der Professor.
“Lassen Sie mich meine Ausführungen zu Ende bringen. Noch haben Sie nichts von der Kopenhagener Deutung gehört.”
“Ich habe genug gehört!” schnaubte Robert. “Ich kann unter diesen Umständen nicht weiter studieren. Das widerspricht allem, was ich bisher gelernt habe.”
“Dann haben Sie bisher aber nicht viel gelernt. Die Welt ist voller Rätsel, und die Physik ist dabei, sie zu lösen.”
“Auch die Physik wird irgendwann an Grenzen stoßen - wenn nicht hier, dann irgendwo anders. Wir werden niemals restlos das Universum erklären können. Wann immer wir glauben, unserem Ziel ein großes Stück näher gekommen zu sein, passiert irgend etwas unglaubliches, so wie dieses Doppelspaltexperiment, was diese Welt viel mysteriöser und unbegreiflicher erscheinen lässt als noch zuvor.”
Mit diesen Worten stand er auf, verließ den Hörsaal, knallte die Tür hinter sich zu und ward nie mehr gesehen.
Andreas wagte zu bezweifeln, dass dieser Dialog tatsächlich so stattgefunden hatte, wie Robert ihn schilderte. Aber was er glaubte, war, dass dieses Experiment Robert dazu bewogen hatte, sein Studium abzubrechen.
Doch von seinen späteren Erfolgen war Robert noch weit entfernt. Oft genug kassierte er Körbe. Oft genug fand er keinen Parkplatz. Und da er sich, vor allem nachdem er 18 geworden war, ins Nachtleben stürzte, wurden auch seine Leistungen in der Schule schlechter. Er wurde ein Lebemann. Mädchen, Partys und Alkohol bestimmten sein Leben. Trotzdem schaffte er sein Abitur. Zwar nicht unbedingt mit dem besten Notenschnitt, aber er war intelligent genug, nicht völlig unterzugehen.
Nach der Schule kam er als Wehrpflichtiger zur Bundeswehr. Dort gefiel es ihm außerordentlich gut - so gut, dass er schon mit dem Gedanken spielte, sich als Zeitsoldat zu verpflichten. Doch er entschied sich dagegen, weil er in der Bundeswehr keinen Sinn mehr sah. Der Kalte Krieg war vorbei, und neue Aufgaben für NATO und Bundeswehr waren noch nicht in Sicht. Einer seiner Kameraden sagte, dass nach dem alten Blocksystem bald ein neues kommen werde, dass der Islam der neue Feind des Westens werden würde. Niemand schenkte ihm so recht Beachtung. Auch nicht als dieser Kamerad behauptete, in nicht allzu ferner Zukunft werde es einen Terroranschlag geben, der alles bisher Dagewesene in den Schatten stellen sollte. Einen Terroranschlag mit mehreren tausend Toten. Robert lachte ihn aus, doch am 11. September 2001, als er die Bilder vom einstürzenden World Trade Center im Fernsehen sah, dachte er zurück an seinen Kameraden, und als dann die ersten Zeitsoldaten in den Krieg nach Afghanistan abgezogen wurden, war er richtig froh, dass er nicht diesen Weg gegangen war.
Nachdem sein Dienst bei der Bundeswehr beendet war, nahm er in Heidelberg ein Physikstudium auf. Nicht dass er sich besonders dafür interessiert hätte. Er hatte nur in der Schule in Mathematik und Physik die besten Noten gehabt und war deshalb zur der Ansicht gelangt, dass ihm das wohl am meisten läge. Allerdings hatte er Unrecht. Der erfolgsverwöhnte Student musste sein gewohntes Alkohol-und-Frauen-Leben sausen lassen. Tag und Nacht brütete er über mathematische Formeln. In der Mathematik-Vorlesung verstand er oft nur Bahnhof. In den Physik-Vorlesungen dagegen blühte er auf. Ihm erschloss sich eine höchstinteressante Welt, die ihn immer mehr faszinierte - die Welt der Naturwissenschaften. Bis eines Tages in ihm alle Sicherungen durchbrannten.
Es war das erste Mal in seinem Leben, dass er etwas vom Doppelspaltexperiment gehört hatte. Der Professor erklärte es nicht nur seinen Studenten. Er führte es selber durch. Er jagte tatsächlich Elektronen durch den Doppelspalt. Er ließ die Studenten live an den ebenso sensationellen wie merkwürdigen Ergebnissen teilhaben. Und an der Stelle, an der die Elektronen, wenn sie beobachtet wurden, ein Doppelspaltmuster zeichneten, nachdem sie zuvor unbeobachtet noch ein Inteferenzmuster gebildet hatten, stand Robert auf und sagte: “Es reicht mir! Merkt ihr denn nicht, dass wir alle verarscht werden?”
“Junger Mann, zügeln Sie sich!” sagte der Professor streng. “Ich habe nicht vor, irgendwen, wie Sie es sagen, zu verarschen. Das hier ist ein Naturphänomen.”
“Ein Naturphänomen, das uns an der Nase herum führt!” sagte Robert. “Entweder sind die Elektronen intelligent, oder sie werden von einer intelligenten Macht gesteuert. Woher sollen sie sonst wissen, dass sie beobachtet werden?”
“Jetzt beruhigen Sie sich wieder”, sagte der Professor.
“Lassen Sie mich meine Ausführungen zu Ende bringen. Noch haben Sie nichts von der Kopenhagener Deutung gehört.”
“Ich habe genug gehört!” schnaubte Robert. “Ich kann unter diesen Umständen nicht weiter studieren. Das widerspricht allem, was ich bisher gelernt habe.”
“Dann haben Sie bisher aber nicht viel gelernt. Die Welt ist voller Rätsel, und die Physik ist dabei, sie zu lösen.”
“Auch die Physik wird irgendwann an Grenzen stoßen - wenn nicht hier, dann irgendwo anders. Wir werden niemals restlos das Universum erklären können. Wann immer wir glauben, unserem Ziel ein großes Stück näher gekommen zu sein, passiert irgend etwas unglaubliches, so wie dieses Doppelspaltexperiment, was diese Welt viel mysteriöser und unbegreiflicher erscheinen lässt als noch zuvor.”
Mit diesen Worten stand er auf, verließ den Hörsaal, knallte die Tür hinter sich zu und ward nie mehr gesehen.
Andreas wagte zu bezweifeln, dass dieser Dialog tatsächlich so stattgefunden hatte, wie Robert ihn schilderte. Aber was er glaubte, war, dass dieses Experiment Robert dazu bewogen hatte, sein Studium abzubrechen.
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