Samstag, 6. Juli 2013
00101111 - Overload
Maja ging jetzt mit Robert. Andreas wurde schwindelig. Warum tat die Wahrheit immer so weh? Warum ließ ihn niemand in einer Traumwelt leben? In einer Traumwelt, in der er mit Maja zusammen war? Eine Traumwelt, in der die Mädchen auf ihn standen? Vielleicht auch eine Traumwelt, in der sie ihm halfen, etwas gegen Robert zu unternehmen?

Andreas überlegte sich, ob er sich vielleicht krank melden sollte. An Schule war jetzt sowieso nicht zu denken. Wie sollte er einem Unterricht folgen, in dem vielleicht Maja und Robert aufeinander saßen - das neue Liebespärchen der Schule? Und er war wieder einmal der Gelackmeierte? Er hatte wieder einmal die Arschkarte gezogen - wie so oft zuvor. Der Loser der Schule. Den die anderen immer nur auslachten. Ihm wurde schlecht.

Die ganze Welt fing an, sich zu drehen. Er sah alles, hörte alles, doch er verstand nichts mehr. Es war, als brüllten hunderttausend Stimmen Worte einer fremden Sprache in sein Ohr. Vor seinem Auge nahm er Farben und Formen wahr, aber er konnte sie nicht zuordnen. Er roch den Schweiß der Kinder, das Parfüm, das die Mädchen nahmen, das After Shave der männlichen Teenager, die Hundescheiße, die irgendwo verborgen im Gebüsch lag. Er roch die Rindswürstchen, die Hausmeister in seinem großen Topf kochte, um den Schülern etwas warmes zu bieten. Er roch die frischen Brötchen, die gerade ein Bäcker gebracht hatte. Aber all das wurde ihm zu viel. Er verfiel in alte Verhaltensregeln, fing an, mit den Händen zu flattern, schlug seinen Ringfinger abwechselnd gegen den Daumenknöchel und gegen die Daumenspitze, dann den Zeigefinger gegen die Zunge. Er musste aussehen wie der letzte Depp, aber es kümmerte ihn nicht.

Jetzt wäre am liebsten losgerannt, quer über den Schulhof, und hätte Musik und Nachrichten imitiert, so wie er es damals in der Grundschule getan hatte. Aber er riss sich zusammen. Nein, er hielt es nicht aus. Sein Kopf war voll - voll von Informationen. Voll von Emotionen, die dort nicht hinein gehörten. Gleich würde er platzen, wenn er nicht das Ventil öffnete. Wenigstens einmal Robert anschreien. Maja anschreien. Die Lehrer anschreien. Alles zusammen brüllen. Alles kurz und klein schlagen. Die Emotionen aus seinem Ventil entweichen lassen. Aber es ging nicht. Das Ventil war verstopft, und der Druck in seinem Kopf erhöhte sich wie einem Dampfkessel kurz vor dem Platzen.

Er ging, nein wankte von dannen. Versuchte, im tiefen Schnee nicht auszurutschen. Nur weg von der Schule, weg von den Menschen. Irgendwohin, wo er allein war, wo er sich ganz seinen Gefühlen und Gedanken hingeben konnte. Am besten nach Hause. Die Schule schwänzen. Aber das konnte er auch nicht. Das war nicht erlaubt. Doch wenn er jetzt nicht krank war, was war er dann? Schon bekam er Kopfschmerzen - nicht das erste Mal in solch einer Situation. Allein das würde sicherlich ausreichen, um sich krankschreiben lassen zu können. Aber im Wartesaal sitzen? Bei all den hustenden und schniefenden Menschen und dem chemischen Geruch nach Arztpraxis in der Nase? War es das wert? Er entschied sich für ja.

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