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Donnerstag, 9. Mai 2013
00001101 - Guten Appetit!
mercury mailer, 22:22h
Wenn Andreas an Robert Jens dachte, dann hatte er vor allem ein Bild im Auge. Robert Jens, der grinsend sein Gesicht über ihn gebeugt hatte und eine halbvolle Kakaotüte nach ihm warf, während er feixend “Guten Appetit!” brüllte - begleitet von dem Gelächter seiner anderen Schulkameraden. Andreas saß in einem dieser Müllcontainer, von denen einige im Pausenhof standen. Das waren metallene Container, die man rollen, öffnen und schließen konnte. Die Schüler konnten dort die Reste ihrer Pausenbrote entsorgen. Auf der anderen Seite dienten sie als Sammelbehältnis für die überall herumstehenden kleineren Abfalleimer aus Drahtgitter. Der Hausmeister - und gegebenfalls der eine oder andere Schüler, der aufgrund von Fehlverhalten dazu verdonnert wurde, leerte die Abfalleimer aus, und der Inhalt landete in eben einem dieser Container, bevor sie alle einmal in der Woche von der Müllabfuhr abgeholt wurden.
So etwas wie Mülltrennung gab es damals noch nicht. Alles landete in den gleichen Containern: die Frischhaltefolie, mit denen die Pausenbrote eingewickelt waren, die Kakaotüten, die es beim Hausmeister zu kaufen gab, Glasflaschen mit Wasser, Cola und Limonade, Essensreste, aber auch Rotzfahnen oder manchmal auch Hundescheiße, die jemand mit Hilfe eines Taschentuchs aufgehoben und dort entsorgt hatte. Einige Schüler hatten sogar hinein gekotzt.
Es war das alte Schauspiel - ein Stück, das nach seiner Premiere über die Spielzeiten hinweg immer erneut aufgrund seiner großen Beliebtheit eine Wiederholung erfuhr: Robert und einige andere packten Andreas, trugen ihn quer durch den Schulhof und warfen ihn in die Mülltonne. Er landete unsanft auf einigen Getränkedosen, Safttüten und Einwegflaschen. Ein strenger Geruch verriet ihm, dass auch halbverdorbenes Fleisch und Hundescheiße nicht weit waren. Jemand machte den Deckel zu, und Andreas saß in der Falle. In einer äußerst dunklen und ungemütlichen Falle. Er versuchte, den Deckel zu öffnen, doch es gelang ihm nicht. Offenbar wurde er von außen zugehalten. Draußen johlten die Jungs aus seiner Klasse fröhlich.
Je länger Andreas in seinem metallenen Gefängnis saß, desto mulmiger wurde ihm zumute. Es roch entsetzlich, und langsam hatte er Angst, keine Luft mehr zu bekommen. Andreas rief um Hilfe, aber das rief nur weiteres Gelächter seiner Schulkameraden hervor. Er geriet in Panik, bommerte wie wild gegen die Wand des Containers. Er war allein in der stinkenden Finsternis.
Dann endlich öffnete sich die Klappe, und er sah Robert, sah sein grinsendes Gesicht. Wenn er gekonnt hätte, hätte er ihm eine reingeschlagen. Aber er wusste genau, was dann passiert wäre: Robert hätte es nichts ausgemacht. Er hätte weiter gegrinst und dann Andreas eine reingeschlagen. Weil er so schwach war. Weil man es mit ihm machen konnte. Und weil er anders war. Egal, so war das Leben eben. So was nannte man Evolution. Das Überleben der Tüchtigsten. Oder der Stärksten, der Schnellsten, was auch immer. Natürliche Selektion. Deshalb hatte er auch später nie die Frauen abbekommen, während sich Robert nicht einmal bemühen musste. Robert war ein Gewinner, Andreas ein Verlierer. Das Leben konnte so ungerecht sein.
Jetzt blickte Robert auf Andreas herab wie ein Fürst, vor dem einer seiner Leibeigenen im Dreck lag. Er grinste schadenfroh, als hätte es Andreas nicht anders verdient. Und noch bevor der Gedemütigte irgend etwas unternehmen konnte, um den Container wieder zu verlassen, warf Robert die halbvolle Kakaotüte nach ihm. “Guten Appetit”, sagte er. Natürlich patschte die Kakaotüte genau auf Andreas’ Winterjacke. Und er spürte mehr als dass er sah, wie die braune Flüssigkeit sich über seine Jacke verteilte wie die flüssigen Exkremente eines Darmkranken. Ein Gefühl von Ekel stieg in ihm hoch, als der Kakaogeruch an seine Nase drang. Andreas hasste Kakao. Er wusste nicht warum, aber es war so. Manche Nahrungsmittel - wie beispielsweise Eier oder Kakao - erregten bei ihm so viel Ekel, dass er kotzen musste. Auch jetzt war ihm wieder danach. Er versuchte, den Container zu öffnen, aber es gelang ihm nicht. Wieder hielt jemand den Deckel zu.
“Trink erst mal deinen Kakao!” rief Robert. Er sprach es Kaka-o aus.
Andreas spürte, wie es ihm schlecht wurde, wie es ihm hochkam. Schon hatte er das flaue Gefühl im Magen, das er immer hatte, kurz bevor es so weit war. Dann kroch schon die ekelhaft schmeckende Kotze die Speiseröhre nach oben. Er schmeckte sie in seinem Rachen, er schmeckte sie in seinem Mund - mehr aus Reflex als durch bewusste Entscheidung öffnete er ihn und entließ die sauer schmeckende Brühe dorthin, wo ganz andere ekelhafte Dinge lagen.
Dann spürte er, wie sie anfingen, den Container durch den Schulhof zu rollen. Sie wollten ihn und den Müll durcheinanderwirbeln. Das gelang ihnen aber nur bedingt. Zwar landete durchaus die eine oder andere Rotzfahne, das eine oder andere Stück Papier, die eine oder andere Getränketüte in seinem Schoß. Doch glücklicherweise blieb seine Kotze dort, wo sie war. Andreas wurde noch übler. Ein zweites Mal entleerte er seinen Magen durch die Vordertür.
Endlich ertönte der Schulgong und erlöste Andreas von seinem Leiden. Müde kletterte er aus dem Container und setzte sich draußen daneben, während er zusah, wie die Schüler wieder in dem Gebäude verschwanden. Er würde sich krank melden. Ja, er würde ins Schulsekretariat gehen und sagen, er habe eine Magenstimmung. Immerhin hatte er erbrechen müssen. Und jetzt fühlte er sich schwach auf den Beinen. Man hatte ihn gemobbt. Vor allem einer hatte ihn gemobbt: Robert Jens, der größte Rabauke der Klasse. Andreas beschloss, dafür zu sorgen, dass er Ärger bekam. Und zwar gewaltigen. Und wie ein böser Geist hing das Gesicht vor seiner Nase. Robert, der mit der Kakaotüte nach ihm warf und “Guten Appetit!” sagte.
So etwas wie Mülltrennung gab es damals noch nicht. Alles landete in den gleichen Containern: die Frischhaltefolie, mit denen die Pausenbrote eingewickelt waren, die Kakaotüten, die es beim Hausmeister zu kaufen gab, Glasflaschen mit Wasser, Cola und Limonade, Essensreste, aber auch Rotzfahnen oder manchmal auch Hundescheiße, die jemand mit Hilfe eines Taschentuchs aufgehoben und dort entsorgt hatte. Einige Schüler hatten sogar hinein gekotzt.
Es war das alte Schauspiel - ein Stück, das nach seiner Premiere über die Spielzeiten hinweg immer erneut aufgrund seiner großen Beliebtheit eine Wiederholung erfuhr: Robert und einige andere packten Andreas, trugen ihn quer durch den Schulhof und warfen ihn in die Mülltonne. Er landete unsanft auf einigen Getränkedosen, Safttüten und Einwegflaschen. Ein strenger Geruch verriet ihm, dass auch halbverdorbenes Fleisch und Hundescheiße nicht weit waren. Jemand machte den Deckel zu, und Andreas saß in der Falle. In einer äußerst dunklen und ungemütlichen Falle. Er versuchte, den Deckel zu öffnen, doch es gelang ihm nicht. Offenbar wurde er von außen zugehalten. Draußen johlten die Jungs aus seiner Klasse fröhlich.
Je länger Andreas in seinem metallenen Gefängnis saß, desto mulmiger wurde ihm zumute. Es roch entsetzlich, und langsam hatte er Angst, keine Luft mehr zu bekommen. Andreas rief um Hilfe, aber das rief nur weiteres Gelächter seiner Schulkameraden hervor. Er geriet in Panik, bommerte wie wild gegen die Wand des Containers. Er war allein in der stinkenden Finsternis.
Dann endlich öffnete sich die Klappe, und er sah Robert, sah sein grinsendes Gesicht. Wenn er gekonnt hätte, hätte er ihm eine reingeschlagen. Aber er wusste genau, was dann passiert wäre: Robert hätte es nichts ausgemacht. Er hätte weiter gegrinst und dann Andreas eine reingeschlagen. Weil er so schwach war. Weil man es mit ihm machen konnte. Und weil er anders war. Egal, so war das Leben eben. So was nannte man Evolution. Das Überleben der Tüchtigsten. Oder der Stärksten, der Schnellsten, was auch immer. Natürliche Selektion. Deshalb hatte er auch später nie die Frauen abbekommen, während sich Robert nicht einmal bemühen musste. Robert war ein Gewinner, Andreas ein Verlierer. Das Leben konnte so ungerecht sein.
Jetzt blickte Robert auf Andreas herab wie ein Fürst, vor dem einer seiner Leibeigenen im Dreck lag. Er grinste schadenfroh, als hätte es Andreas nicht anders verdient. Und noch bevor der Gedemütigte irgend etwas unternehmen konnte, um den Container wieder zu verlassen, warf Robert die halbvolle Kakaotüte nach ihm. “Guten Appetit”, sagte er. Natürlich patschte die Kakaotüte genau auf Andreas’ Winterjacke. Und er spürte mehr als dass er sah, wie die braune Flüssigkeit sich über seine Jacke verteilte wie die flüssigen Exkremente eines Darmkranken. Ein Gefühl von Ekel stieg in ihm hoch, als der Kakaogeruch an seine Nase drang. Andreas hasste Kakao. Er wusste nicht warum, aber es war so. Manche Nahrungsmittel - wie beispielsweise Eier oder Kakao - erregten bei ihm so viel Ekel, dass er kotzen musste. Auch jetzt war ihm wieder danach. Er versuchte, den Container zu öffnen, aber es gelang ihm nicht. Wieder hielt jemand den Deckel zu.
“Trink erst mal deinen Kakao!” rief Robert. Er sprach es Kaka-o aus.
Andreas spürte, wie es ihm schlecht wurde, wie es ihm hochkam. Schon hatte er das flaue Gefühl im Magen, das er immer hatte, kurz bevor es so weit war. Dann kroch schon die ekelhaft schmeckende Kotze die Speiseröhre nach oben. Er schmeckte sie in seinem Rachen, er schmeckte sie in seinem Mund - mehr aus Reflex als durch bewusste Entscheidung öffnete er ihn und entließ die sauer schmeckende Brühe dorthin, wo ganz andere ekelhafte Dinge lagen.
Dann spürte er, wie sie anfingen, den Container durch den Schulhof zu rollen. Sie wollten ihn und den Müll durcheinanderwirbeln. Das gelang ihnen aber nur bedingt. Zwar landete durchaus die eine oder andere Rotzfahne, das eine oder andere Stück Papier, die eine oder andere Getränketüte in seinem Schoß. Doch glücklicherweise blieb seine Kotze dort, wo sie war. Andreas wurde noch übler. Ein zweites Mal entleerte er seinen Magen durch die Vordertür.
Endlich ertönte der Schulgong und erlöste Andreas von seinem Leiden. Müde kletterte er aus dem Container und setzte sich draußen daneben, während er zusah, wie die Schüler wieder in dem Gebäude verschwanden. Er würde sich krank melden. Ja, er würde ins Schulsekretariat gehen und sagen, er habe eine Magenstimmung. Immerhin hatte er erbrechen müssen. Und jetzt fühlte er sich schwach auf den Beinen. Man hatte ihn gemobbt. Vor allem einer hatte ihn gemobbt: Robert Jens, der größte Rabauke der Klasse. Andreas beschloss, dafür zu sorgen, dass er Ärger bekam. Und zwar gewaltigen. Und wie ein böser Geist hing das Gesicht vor seiner Nase. Robert, der mit der Kakaotüte nach ihm warf und “Guten Appetit!” sagte.
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