Mittwoch, 15. Mai 2013
00010011 - Robert Jens kommt!
Robert grinsend unter Dusche, während Andreas’ Kleider nass wurden. Dieses Bild hatte er im Kopf, als er an diesem Abend die Konrad-Adenauer-Halle betrat. Im Foyer tummelten sich seltsame Leute. Eine alte Frau, deren lange, weiße Haare bis zum Po reichten. Trotzdem trug sie eine Jeansjacke und einen Sticker mit der Aufschrift “Oben bleiben!”. Ein Mann mit Bart und John-Lennon-Brille. Seine Haare reichten ihm den Rücken hinab auf die beige-graue Strickweste. Aber auch ganz normale Leute - sofern man bei einer solchen Veranstaltung von normal sprechen konnte. Eine Krawatte oder gar einen Anzug trug keiner der Menschen, die jetzt langsam auf den Saaleingang zuströmten. Andreas lächelte einer jungen Frau zu, die lange blonde Haare hatte und keinerlei Gesichts-Make Up trug. Doch sie schien ihn nicht zu bemerken.

Robert grinsend unter der Dusche. So wie er von den Plakaten grinste, die überall im Foyer aufgehängt waren. Robert Jens kommt! Wege zum Erfolg. Der Matrix-Code. Die Macht des Positiven Denkens. Jenseits der Realität. Das war genau die Sorte Mensch, die auch an Wünschelrutengänger glaubte, die sich mit ihren Friseurbesuchen nach dem Mondkalender richtete. Die bei Astro TV anrief, um sich die Karten legen zu lassen.

In Richtung Saaleingang wurde das Gedränge größer, die Wartezeiten länger. Schon spürte er wieder den unangenehmen Körperkontakt von Fremden. Irgendwo in der Nähe hatte jemand Mundgeruch. Ein anderer hatte sich nicht gewaschen. Andreas hoffte, dass er nicht neben ihm sitzen musste.
Eigentlich hatte Andreas jemanden mitnehmen wollen. Für Ralf wäre das sicherlich eine sehr interessante Veranstaltung gewesen. Aber Ralf hatte nicht gekonnt. Warum, hatte er nicht sagen wollen. Vielleicht hasste er Veranstaltungen dieser Art, die daher kamen wie eine zu groß geratene Autorenlesung.

Irgendwo in einer Ecke lagen die Bücher von Robert Jens in mehreren Stapeln. Von jedem Buchdeckel grinste sein Gesicht - grinste so, als hätte er gerade seinen Lesern das Gehirn weggenommen und unter die Dusche geschmissen - so wie er es einst mit seiner Kleidung getan hatte. Er warf die Leser in seinen geistigen Müll, so wie er einst ihn in den richtigen Müll geworfen hatte. Dort stank es dann nach Esoterik, weit hergeholten Theorien und dem ganzen Abfall, mit dem man Leichtgläubige köderte, um Geld zu machen.
Früher hatte Andreas für solche Leute, die eine Veranstaltung wie diese besuchten, nur Verachtung übrig gehabt. Jetzt taten sie ihm Leid. Was er ihnen auch erzählte, würde dazu dienen, sie dazu zu bringen, seine Bücher zu kaufen - und vielleicht sogar noch mehr. Seine Seminare zu besuchen. Was auch immer. Andreas verstand nicht, warum er so einen Erfolg hatte.

Der Saaleingang war erreicht. Der Mann am Eingang riss gedankenverloren die Eintrittskarte in zwei Teile, und Andreas war in die Weite des Saals entlassen, in dem zahlreiche Menschen hin und her wuselten und sich unterhielten. Andreas nahm sich vor, einen Platz in einem der hinteren Ränge einzunehmen. Er legte keinen Wert darauf, die ganze Zeit Roberts grinsendes Gesicht direkt vor sich zu sehen. Zum Glück gab es da noch einige freie Plätze. Er suchte sich einen Platz, bei dem er nicht fragen musste, ob der noch frei sei. Dann setzte er sich.

Die Bühne war karg. Ein Tisch und ein Rednerpult waren das einzige, was dort stand. Aber dies alles wurde von einer überdimensionalen Leinwand überragt, die Roberts neuestes Buch zeigen: Jenseits der Realität. Was meinte er nur damit?

Andreas versuchte, es sich auf dem engen Sitz so bequem zu machen, wie es nur irgend ging. Das war nicht sonderlich bequem, aber dies war ja für ihn auch keine besonders bequeme Veranstaltung. Es war vielmehr so etwas wie Vergangenheitsbewältigung. Eigentlich wusste er überhaupt nicht, warum er hier war.

Das Geräusch Hunderter durcheinander redender Menschen erfüllte die Luft. Es roch ein wenig nach Schweiß und nach Fürzen, aber nicht besonders penetrant. Aus Scherz versuchte Andreas, irgendwo in der Menge jemanden zu sehen, den er kannte - oder den er einmal irgendwo gesehen hatte, zum Beispiel den Terminator aus der U-Bahn heute morgen. Aber in diesem Raum waren nur fremde Gesichter - bis auf das, was ihn von der Leinwand herab angrinste.
Natürlich blieb er nicht allein in seiner Reihe sitzen. Er bemerkte aber vor Freude, dass diejenige, die neben ihm Platz nahm, das Mädchen war, das ihm schon im Foyer aufgefallen war. Sie war hübsch, aber auch irgendwie seltsam. Ihre Finger spielten die ganze Zeit an ihrer Kette herum, die ein überdimensionales Ankh-Zeichen darstellte. Sie war schlank und schmalbrüstig, doch nachdem sie mal Platz genommen hatte, würdigte sie ihn keines Blickes mehr. Statt dessen schien sie in das versunken zu sein, was dort auf der Bühne geschah. Obwohl dort noch nichts geschah.
Auch der Platz links von ihm war jetzt belegt. Von einer Frau, die etwa sechzig Jahre alt zu sein schien. Überhaupt war jetzt jeder Platz im Saal belegt, als das Licht langsam ausging und das Gemurmel verstummte.

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