Samstag, 18. Mai 2013
00010110 - Alles nur Kulisse
Da war sie wieder, die Theorie, auf die ihn gestern erst Alexander hingewiesen hatte. Das Trinäre System. Ein System, das die 2 in die Computer mit aufnehmen sollte, das zur positiven und zur negativen die neutrale Funktion hinzufügen sollte. Jetzt versprach es, interessant zu werden.

Aber es wurde nicht interessant. Robert fing nun an, sich in physikalischem Grundwissen zu ergehen und den - zumindest in der Mehrheit - nicht sonderlich intelligenten Zuschauern zu erklären, was ein Atom ist:

“Aber der Code der Elemente geht doch ein kleines bisschen anders. Zwar sind in jedem Atom positive, negative und neutrale Teilchen enthalten, aber die Atome sind allesamt im elektrischen Gleichgewicht. Das heißt, im Normalfall hat jedes Atom genau so viele Protonen wie Elektronen. Der Code liegt also nicht im Verhältnis von Protonen, Neutronen und Elektronen zueinander. Der Code ist viel simpler:”

Hatte das vorangegangene Dia noch ein Atom gezeigt, so war jetzt das Periodensystem der Elemente zu sehen - eine Tabelle, die Andreas sehr gut kannte - wenn auch in der Zwischenzeit einige Elemente dazu gekommen waren, seit er es das letzte Mal gesehen hatte.

“Derzeit gibt es 118 Elemente”, sagte Robert. “Das hier kennen einige von Ihnen sicherlich aus dem Chemieunterricht. Das ist das Periodensystem, in dem diese 118 Elemente einsortiert sind. Im Prinzip ist das alles ganz einfach. Jedes dieser Elemente hat eine Ordnungszahl. Zum Beispiel Wasserstoff, hier ganz oben links mit dem Buchstaben H, hat die Ordnungszahl 1. Helium, ganz oben rechts mit der Abkürzung He, hat die Ordnungszahl 2. Und das war auch schon die erste Zeile, also die erste Periode. In der zweiten Periode geht es weiter mit Lithium, Beryllium, Bor, Kohlenstoff, Stickstoff, Sauerstoff, Fluor und Neon. Die Ordnungszahlen 3 bis 10. Und jede dieser Ordnungszahlen ist nichts anderes als die Anzahl sowohl der Protonen, als auch der Elektronen im Atom. So simpel ist das. Ob ich ein Proton und Elektron mehr habe oder nicht, entscheidet, ob ich Gold habe oder Platin oder vielleicht Quecksilber. So einfach ist das. Die ganze Chemie ist aufgebaut auf 118 Elementen, und davon spielen gerade mal 80 eine Rolle. Und nur die Anzahl der Elektronen und Protonen unterscheidet sie, bestimmt, ob ein Element fest, flüssig oder gasförmig ist, giftig, ätzend oder radioaktiv, ob es leicht reagiert, vielleicht leicht entflammbar ist oder ob es ein Edelgas ist und überhaupt nicht reagiert.”

Andreas schaute das blonde Mädchen an, aber sie starrte nun gebannt nach vorne und hatte sich ganz und gar auf den Vortrag konzentriert.

“Dieses Periodensystem”, fuhr Robert fort, “ist eigentlich eine hübsche, saubere Ordnung, wie sie sich nur ein intelligentes Wesen ausdenken kann. Und doch ist es unsere Natur. Jede Zeile ist eine neue Periode. Im Atom wäre das eine neue Elektronenschale. Jede äußerste Elektronenschale hat acht Elektronen. Ist die äußerste Schale voll, kann das Element nicht reagieren und ist somit ein Edelgas. Und jetzt kommen wir zu den Spalten: In jeder Spalte finden sich Elemente, die einander in ihren Eigenschaften ähnlich sind. Spalte 1 sind die Alkalimetalle: Lithium, Natrium, Kalium, Rubidium, Caesium und Francium. Spalte 17 sind die Halogene und Spalte 18 die Edelgase. Dazwischen gerät es manchmal ein bisschen durcheinander. Aber selbst im ordentlichsten System herrscht mal Unordnung.”

Andreas fragte sich, ob das alle begriffen hatten. Jedenfalls traute sich niemand, eine Frage zu stellen. Aber vielleicht waren die Zuschauer auch ein bisschen überfordert. Vielleicht unterschätzte er sie aber auch, und sie waren intelligenter, als er dachte. Er hatte damals zumindest im Chemieunterricht keine Probleme, das Periodensystem zu verstehen. Aber vielleicht war das für Roberts Vortrag auch nicht nötig.

Das Periodensystem verschwand jetzt und machte wieder einer Abbildung eines Atoms Platz: Elektronen umkreisten einen Atomkern, der aus Protonen und Neutronen bestand.

“Schauen wir uns jetzt ein Atom genauer an”, sagte Robert. “Jedes Atom besteht aus einem Atomkern und einer Atomhülle. Im Atomkern, da sitzen die Protonen und Neutronen, und die Elektronen bewegen sich in der Atomhülle. Was aber, wenn ich Ihnen sage, dass die Atomhülle 10.000 Mal größer ist als der Atomkern? 10.000 Mal. Stellen Sie sich vor, dieser Raum wäre ein Atom. Wie viele Meter sind das? Rechnen wir mal mit fünfzig Metern Länge. Könnte etwa hinkommen. Fünfzig Meter lang, zwanzig Meter breit, zehn Meter hoch. Ich weiß nicht, ob das stimmt, aber das würde doch einen ganz passablen Raum ergeben. 50 mal 20 mal 10: 10.000 Kubikmeter. Nehmen wir an, dieser Raum hätte 10.000 Kubikmeter. So, das würde bedeuten, der Atomkern wäre kleiner als ein Würfel, der einen Meter lang, einen Meter breit und einen Meter hoch wäre. Ich bin sicher, niemand von Ihnen ist einen Meter hoch. Je nach Körpergröße würde dieser Würfel Ihnen bis an die Taille oder bis an den Bauchnabel oder bis zur Brust reichen. Dieser Würfel ist jetzt der Atomkern. Und der Rest der Halle besteht aus... nichts. Rein gar nichts. Absolute Leere. Mit Ausnahme von den paar Elektronen, die hier herumschwirren. Und wenn Sie überlegen, dass mehr als 99,9 Prozent der gesamten Masse eines Atoms im Atomkern ist, dann können Sie sich schon ausrechnen, wie groß diese Elektronen sind. 0,02 Prozent der Masse eines Atoms besteht aus Elektronen. In dieser Halle wären das gerade mal 200 Kubikzentimeter. Das hört sich viel an. Aber ziehen Sie mal die Kubikwurzel aus 200. Das wären 5,848 - also knapp sechs Zentimeter. Wir haben in dieser Halle Elektronen, die in einen Würfel von sechs Zentimetern Kantenlänge passen. Das ist gerade mal eine Fingerspanne. Alle zusammen - nicht nur eines. Und bedenken Sie: Es gibt Elemente mit 118 Elektronen. Wir haben einen Würfel von einem Meter Kantenlänge. Der ganze Rest ist luftleerer Raum. Ein Atom besteht zum großen Teil aus gar nichts. Gar nichts, meine Damen und Herren. Das ist das Geheimnis von allem, was wir sehen. Nur ein Zehntausendstel aller Materie ist wirklich Masse. Der Rest ist nichts.”

Robert hatte sich zu dem Tisch bewegt, der auf der Bühne stand. Ein einfacher Holztisch. Nichts besonderes.

“Wenn wir also diesen Tisch da nehmen, und wir entfernen den gesamten leeren Raum der Atomhülle, und wir nehmen mal an, der Tisch ist einen Meter hoch, einen Meter lang und einen Meter breit, also ein Kubikmeter groß. In dieser Halle wäre er so groß wie der Atomkern. Aber wir entfernen jetzt den ganzen leeren Raum aus dem Tisch. Was bleibt übrig?”

Er nahm ein kleines Tischchen, das auf dem großen Tisch stand und hielt es in die Höhe. “Das, meine Damen und Herren. Ein Tisch mit noch nicht einmal fünf Zentimetern Kantenlänge. Das ist unser Tisch ohne den ganzen überflüssigen leeren Raum. Und als mir das wirklich bewusst wurde, wurde mir klar: Wer immer sich das ganze hier ausgedacht hat, verscheißert mich gewaltig. Die ganze Welt ist mehr Schein als Sein. Alles, was wir sehen, ist im Grunde nur Kulisse. Und nur ein Zehntausendstel davon ist wirklich echt.”

Andreas nahm sein iPhone in die Hand und schielte nach dem blonden Mädchen neben ihm. Sie schien an Roberts Lippen zu hängen. Uninteressant war das ja wirklich nicht, was er gerade erzählte. Aber für Andreas ein alter Hut. Die Grundlagen der Atomphysik waren nichts wirklich Neues.

“So weit, so gut. Aber es wird noch besser: Was zum Geier ist überhaupt ein Elektron? Das wollten die Wissenschaftler auch wissen und kamen zum Doppelspaltexperiment.”

Nicht schon wieder dieses Doppelspaltexperiment! Das war für Andreas schon im Film What the BLEEP Do We Know? kaum erträglich. Inzwischen war das Dia wieder gewechselt und zeigte die Versuchsanordnung: Zwei Wände, und in der vorderen von beiden befanden sich zwei lange Schlitze, die die Wand von oben nach unten durchzogen.

“Der Versuchsaufbau ist denkbar einfach”, sagte Robert. “Wir haben eine Wand oder einen Schirm. Und wir haben eine zweite Wand, eine Barriere. In dieser zweiten Wand ist ein Doppelspalt eingelassen - also eigentlich zwei Spalten. Wir schießen jetzt mit Teilchen durch den Doppelspalt auf die Wand. Unsere Teilchen könnten zum Beispiel Tischtennisbälle sein, und die hintere Wand wäre mit Klebstoff beschichtet, so dass die Tischtennisbälle dort hängen bleiben, wo sie aufkommen.”

Das nächste Bild zeigte, dass sich an der hinteren Wand zwei senkrechte Reihen aus Kugeln gebildet hatten.

“So, und wenn wir jetzt lange genug einen Tischtennisball nach dem anderen durch den Doppelspalt schießen, dann bildet sich irgendwann ein Muster. Und dieses Muster besteht aus zwei Linien, die genau diesen Doppelspalt abbilden. Ist klar.”
Das nächste Dia zeigte, dass jemand den Versuchsaufbau zumindest zur Hälfte unter Wasser gesetzt hatte. Doch es war nur die Wand mit dem Doppelspalt zu sehen, nicht die hintere Wand.
“Statt der Teilchen schicken wir jetzt Wellen durch den Doppelspalt, beispielsweise Wasser.”

Das nächste Dia zeigte den Versuchsaufbau von oben. Die Wellen breiteten sich vom Doppelspalt aus. Dabei überlagerten sie sich, wurden teilweise stärker und hoben sich teilweise auf.

Robert fuhr fort: “Durch den Doppelspalt kreuzen sich die Wellen und überlagern sich dadurch. Auf der hinteren Wand gibt das ein völlig anderes Muster. Wir haben nicht zwei Streifen, sondern wir haben viele Streifen die Wand entlang. Auf die Art und Weise hat ein gewisser Thomas Young 1802 nachgewiesen, dass sich Licht wellenartig fortbewegt. So weit, so gut. Aber was sind jetzt Elektronen? Teilchen oder Wellen?”

Das nächste Bild lieferte eigentlich schon die Antwort. Doch Robert fasste es noch mal in Worte: “Ein gewisser Claus Jönsson wollte es 1961 genauer wissen und schickte Elektronen durch den Doppelspalt. Das Ergebnis: Es ergibt sich auf der hinteren Wand das Wellenmuster. Elektronen sind also Wellen. Ganz klar. Das leuchtet noch ein, wenn man einen Elektronenstrahl abschickt, denn dann könnten sich die Elektronen gegenseitig überlagern und so das Wellenmuster an der hinteren Wand bilden.”

Andreas twitterte: “Sitze gerade im Vortrag. Kompletter Bullshit. #RobertJens”

Robert sagte: “Nach diesen Erkenntnissen müsste es eigentlich logisch erscheinen, dass, wenn man jetzt einzelne Elektronen durch den Doppelspalt schickt, dass dann auf der hinteren Wand zwei Streifen entstehen mit der Zeit. Das gleiche würde ja schließlich auch mit einzelnen Wassertropfen passieren, da sie sich ja schlichtweg nicht überlagern können. Aber Pustekuchen! Das Experiment zeigte: Jetzt gibt es auch wieder ein Wellenmuster. Und die Frage, die natürlich auftauchte, war: Wie war das möglich? Es ging immer nur ein einziges Elektron durch den Doppelspalt. Da gab es nichts, wovon es sich abstoßen und womit es sich überlagern konnte. Es sei denn, und jetzt halten Sie sich fest: Das Elektron existierte mehrmals. Nicht irgendein Klon oder so, sondern ein und das selbe Elektron ging an mehreren Stellen gleichzeitig durch den Doppelspalt, beispielsweise durch beide Spalten auf einmal und überlagerte sich mit sich selbst. Ganz ehrlich: Der Eindruck, dass uns hier jemand gewaltig verscheißert, wird dadurch nicht unbedingt kleiner. Aber es kommt noch besser.”

Nächstes Dia, nächstes Bild: Hier war eine Kamera an einem der beiden Spalte angebracht.

“Hier war also etwas Ungeheuerliches, etwas ganz und gar Unglaubliches am Werk”, fuhr Robert fort. “Und das wollten die Wissenschaftler natürlich sehen - und da man Elektronen nicht sehen kann, wollten sie es zumindest messen. Also wurde an einem der beiden Spalten ein Messgerät installiert. Und das Ergebnis war verblüffend: Die Elektronen verhielten sich völlig normal. Und am Ende bildeten sich auf der hinteren Wand nur zwei Linien.”

Andreas konnte die Verblüffung im Saal spüren. Robert hatte sie jetzt - und das mit einem Experiment, das schon zigmal wiederholt worden war - immer mit dem gleichen Ergebnis: Es kam nicht mehr darauf an, was beobachtet wurde, sondern, wer beobachtete.
Robert sagte: “Wie man es dreht und wendet: Es kommt das selbe raus: Nur weil ich das Experiment beobachte, beeinflusse ich es. Das heißt, die Elektronen WISSEN, dass sie beobachtet werden und verhalten sich dementsprechend. Das ganze lässt doch nur drei Schlüsse zu: Entweder die Elektronen sind intelligent, oder sie werden von einer intelligenten Macht gesteuert, die uns überlegen ist und sich nicht in die Karten schauen lässt - zum Beispiel von Gott - oder wir steuern sie unbewusst selbst. Aber auf jeden Fall ist hier eine Intelligenz am Werk. Und hier, meine Damen und Herren, kommen wir dem Matrix-Code schon näher. Hier haben wir etwas entdeckt, was man als Fehler in der Matrix bezeichnen könnte.”

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