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Freitag, 17. Mai 2013
00010101 - Gottes Code
mercury mailer, 22:47h
Und dieses Gesicht - um einige Jahre älter - blickte jetzt auf ihn herab von einer Leinwand in der Konrad-Adenauer-Halle. Laute Techno-Musik ertönte jetzt. Safri Duo. Played A Live. Wie bei einem Wahlkampfauftritt von Angela Merkel. Die Scheinwerfer in der Halle schwirrten durcheinander, als hätten sie zu viel Aufputschmittel genommen. Und dann betrat er die Bühne: Schlanker und hagerer als früher und - wie Andreas fand, vollkommen übertrieben - der einzige Anzugträger im Saal. Der Anzug war beige, die Krawatte ebenfalls, die schwarzen Schuhe glänzten, und am Kopf trug er - so deutlich, dass man es noch in der letzten Reihe sehen konnte - ein Headset mit Mikrofon.
Und er ließ sich feiern. Er nahm den Applaus auf wie eine berauschende Droge. Er grinste so wie damals, als Andreas’ Klamotten unter der Dusche lagen. Er winkte den Leuten zu wie ein Star auf dem roten Teppich. Alles schien perfekt inszeniert - mit wenigen, aber effektvoll eingesetzten Mitteln. Als ob er sagen wollte: Ich habe den Stein der Weisen entdeckt. Und das schlimme war: Er schien es selbst zu glauben.
“Danke!” sagte er. “Vielen Dank! Dankeschön!” Wie Thomas Gottschalk.
Und dann begann er seinen Vortrag - nicht gerade bescheiden: “Meine Damen und Herren, dieser Abend wird Ihr Leben verändern. Und das ist nicht nur so daher gesagt. Schauen Sie mich an. Ich bin ein erfolgreicher Buchautor. Ich habe eine Weltanschauungsgemeinschaft gegründet - ich vermeide bewusst das Wort Religion. Ich kriege jede Frau, die ich haben will. Ich kriege immer einen Parkplatz. Was ich will, bekomme ich auch. Ich bin in allem, was ich tue erfolgreich. Und Sie können das auch.”
Andreas wagte das zu bezweifeln. Ihm wurde jetzt schon schlecht.
“Positives Denken”, fuhr Robert fort. “Das ist der ganze Trick. Das allein reicht aber nicht aus. Sie müssen daran glauben. Sie müssen glauben, dass es funktioniert. Es darf nicht der geringste Zweifel aufkommen. Wir Menschen haben mehr Einfluss auf unsere Umgebung, als Ihnen bewusst ist. Wir leben in einer Welt, die wir kaum verstehen, die wir aber beeinflussen können mit unseren Gefühlen und Gedanken. Wir sind von unserer Umwelt nicht abgekoppelt, sondern mit ihr verbunden, und diese Verbindung müssen wir verstehen.”
Zum ersten Mal änderte sich das Dia auf der Leinwand. Es zeigte jetzt eine Szene aus dem Film Matrix. Neo, wie er sich nach hinten bog, um einer Kugel auszuweichen. Und Robert sagte: “Sie kennen alle den Film Matrix. Die Menschen leben alle in einer virtuellen Welt, die von Maschinen generiert ist. Eine Welt, die nur aus Code besteht. Und mitten in dieser Welt lebt Neo. Er ist der einzige, der diesen Code begreift und ihn für sich nutzen kann. Das macht ihn zum Auserwählten. Weil er den Code für seine Zwecke beeinflussen kann, bekommt er die Fähigkeiten eines Superhelden. Was aber ist, wenn ich Ihnen sage, dass der Film Matrix nichts anderes ist als eine kodierte Botschaft über die Welt, in der wir leben? Was ist, wenn unsere Welt tatsächlich aus Code besteht? Und was, wenn ich Ihnen sage, dass jeder von uns zum Neo werden kann?”
“Dann würde ich dir sagen: Du bist verrückt”, flüsterte Andreas dem blonden Mädchen neben ihm zu. Sie schien es lustig zu finden, denn sie kicherte und grinste ihn an, reagierte aber nicht weiter, sondern richtete ihre Aufmerksamkeit wieder nach vorne.
“Neo ist griechisch und heißt neu”, fuhr Robert fort. “Neo ist nichts weiter als der Prototyp des Neuen Menschen. Der Neue Mensch, der nicht Sklave der Welt ist, die ihn umgibt, sondern der sich seines Standpunktes in der Welt bewusst ist. Der sich seine Welt so erschafft, wie er sie haben will. Der die Grenzen dessen, was wir Realität nennen, bewusst durchbricht. Der Neue Mensch ist ein Mensch, dessen Bewusstsein erweitert ist.”
Andreas war das alles etwas zu esoterisch. Aber gut, er war ja nicht hergekommen, um den Vortrag gut zu finden. Er wollte ihn sich kritisch anschauen, seine eigene Meinung dazu bilden. Und bisher war diese Meinung schlicht und einfach: Bullshit.
Wieder änderte sich das Dia. Jetzt zeigte es einen Binärcode - lauter Nullen und Einsen - grün auf schwarz, so wie die Matrix-Schrift. Aber es war jetzt eine echte Matrix, und Andreas hatte den Verdacht, dass der Code irgendeinen Sinn ergab, aber er konnte diesen Binärcode nicht interpretieren.
“Neo bewegt sich in einer virtuellen Welt”, sagte Robert. “Also betrachten wir zunächst einmal die virtuelle Welt. Da gibt es das Internet, da gibt es soziale Netzwerke, da gibt es Online-Rollenspiele. Wir lesen und schreiben Texte, wir hören Musik, wir schauen uns Fotos und ganze Filme an - und doch wissen wir genau, dass das alles nur Code ist. Unsere ganze virtuelle Welt ist ein Code, der nur aus zwei Bausteinen besteht: Nullen und Einsen. Eins heißt, es fließt Strom. Null heißt, es fließt kein Strom. So simpel. Und doch haben wir Menschen aus diesen beiden Bausteinen eine ganze Welt geschaffen.”
Niemand wusste das besser als Andreas, der immerhin bei Lemuria arbeitete, und er musste sich eingestehen, dass Robert nun langsam anfing, die Welt des Bullshits zu verlassen.
“Jetzt sind Code und Kodierung nichts spezifisch Menschliches”, sagte Robert. “Und das ist das Verblüffende, meine Damen und Herren. Es weiß jeder, aber kaum jemand hat sich je darüber Gedanken gemacht, was es wirklich bedeutet. Denn die Natur selbst - oder Gott, wenn Sie so wollen - tut nichts anderes als wir Menschen. Unsere ganze Welt ist - wie die virtuelle Welt auch - aus Code aufgebaut. Unsere Welt ist Code.”
Das Dia wechselte ein weiteres Mal und zeigte ein Sammelsurium von verschiedenen Lebewesen. Da war ein Fliegenpilz, da war aber auch ein Pantoffeltierchen, ein Gorilla, eine Antilope, ein Löwe, eine Heuschrecke, ein Tausendfüßer, eine Kuh, ein Mammutbaum, eine Orchidee, Algen und nicht zuletzt ein Mensch.
“Zum Beispiel das Leben”, setzte Robert seinen Vortrag fort. “Es gibt kaum etwas vielfältigeres: Menschen, Tiere, Pflanzen, Pilze, Einzeller, Bakterien - sogar nicht lebende Gebilde wie Viren. So vielfältig und komplex diese Welt des Lebens auch ist: Es ist zurückzuführen auf einen Code, der nur aus wenigen Bausteinen besteht.”
Andreas kannte den Genetischen Code noch aus dem Biologie-Unterricht, und so ahnte er, was jetzt kommen würde:
“Jedes Lebenwesen hat einen Bauplan, und dieser Bauplan ist in jeder einzelnen Zelle aller Lebewesen gespeichert. Dieser Bauplan entscheidet, ob ich Mensch bin oder Insekt. Dieser Bauplan entscheidet, ob ich groß bin oder klein. Ob ich eine Erbkrankheit habe. Ob ich klug bin oder dumm. Ob ich schön bin oder hässlich. Und dieser Bauplan ist im Zellkern. Sie kennen ihn alle.”
Wieder wechselte das Dia. Jetzt war die Doppelspirale der DNA zu sehen, die Andreas schon unzählige Male auf Grafiken in Büchern oder im Fernsehen gesehen hatte. Wie immer in rot und blau dargestellt.
“Die Desoxyribonukleinsäure - oder kurz DNS - international DNA”, sagte Robert. “Hier ist sie abgebildet. Die Doppelhelix - eine große Spirale. Der Clou an der ganzen Geschichte: Ähnlich wie die virtuelle Welt - Nullen und Einsen - ist auch die Welt des Lebens kodiert. Allerdings nicht in einem Zweiersystem, einem Binärsystem, sondern in einem Vierersystem, also einem Tetranärsystem. Wir haben vier verschiedene Bausteine. Adenin, Cytosin, Guanin und Thymin. Alle Lebewesen, die wir kennen, sind nach diesem Code konstruiert. Nicht 0 und 1, sondern A, C, G und T. So einfach ist das. Als hätte eine Intelligenz sich das ausgedacht.”
Jetzt erschien ein Bauarbeiter auf der Leinwand. Er trug einen gelben Helm und war dabei, ein Holzbrett mit einer Kettensäge zu zersägen.
“Aber damit nicht genug”, sagte Robert. “Gehen wir jetzt zur Materie selbst - zu dem, was die Welt im Innersten zusammenhält. Schon die alten Griechen kannten den Gedanken, dass Materie nicht unendlich teilbar ist. Wenn ich ein Holz zersäge - so wie der Mann hier auf dem Bild - und zersäge das nochmal und wieder und wieder und immer wieder, dann komme ich irgendwann an einen Punkt, an dem ich es - selbst wenn es technisch möglich wäre - nicht mehr weiter zersägen kann, weil ich das kleinste Teil, das sogenannte Atom erreicht habe. Erst sehr viel später hat die Menschheit herausgefunden, dass es Atome wirklich gibt. Wir haben herausgefunden, was sie sind, aus was sie bestehen und sogar, wie man ihren Kern spalten kann.”
Die Leinwand zeigte jetzt ein Atom - oder vielmehr: die vereinfachte Darstellung eines Atoms. In der Mitte ein Punkt, und um diesen Punkt herum waren elliptische Bahnen eingezeichnet, auf jeder elliptischen Bahn befand sich ein Punkt.
“So stellen sich die meisten ein Atom vor”, erklärte Robert das Bild. “Ein paar Elektronen, die um einen Atomkern kreisen wie Planeten um eine Sonne. Das ist nicht ganz falsch. Aber es ist nur ein Modell. Modelle sind dazu da, uns Dinge zu erklären, die wir sonst nicht verstehen können. Dieses Modell, das Planetenmodell, stammt von Niels Bohr. Es ist ein wenig veraltet, aber nach wie vor gut, Einsteigern in die Atomphysik - und ich erlaube mir mal, Sie meine Damen und Herren, dazu zu zählen, klar zu machen, was ein Atom überhaupt ist.”
Wieder wechselte das Dia. Diesmal zeigte es die Zeichnung eines Planeten - oder eines kleinen Punktes, der um die Sonne - oder um einen großen Punkt - kreiste. Auf der Sonne war ein kleines Plus abgebildet, auf dem Planeten ein kleines Minus.
“Hier sehen Sie ein Wasserstoffatom”, sagte Robert, “das einfachste aller Atome. In der Mitte ein Proton, umkreist von einem Elektron. Und hier sind wir wieder bei unserem Code: Jede Materie, jedes Element, alles, was wir kennen, besteht im Grunde nur aus drei Bauteilen: Protonen, Neutronen und Elektronen. Die Protonen und Neutronen im Atomkern werden von den Elektronen - nach diesem Planetenmodell - umkreist. Wir haben also positiv geladene Teilchen, negativ geladene Teilchen und neutral geladene Teilchen. Positiv, negativ, neutral. Kommt Ihnen das nicht bekannt vor?”
Natürlich kam das Andreas bekannt vor. Die ganze Welt bestand aus positiv, negativ und neutral Aber natürlich musste Robert auch darauf herumreiten: Das nächste Bild zeigte die runde und etwas unbedarfte Schrift eines Teenagers auf Karopapier: “Willst du mit mir gehen?” Und dazu drei Antwortmöglichkeiten: Ja, nein und vielleicht.
“Wie viele von Ihnen haben diesen Zettel schon gelesen oder vielleicht selbst geschrieben?”, sagte Robert. “Willst du mit mir gehen? Ja, nein, vielleicht.”
Als nächstes zeigte die Leinwand das Halbrund des Bundestags - gefüllt mit Parlamentariern, die gerade über einen Antrag abstimmten: Mindestens die Hälfte hielt die Hand nach oben. Robert sagte: “Wenn im Bundestag eine Abstimmung ansteht, haben die Abgeordneten drei Möglichkeiten, sich zu entscheiden: Ja, nein und Enthaltung.”
Wieder wechselte das Bild. Das tat es jetzt recht häufig. Jetzt war die Tagesschau zu sehen. Judith Rakers saß in ihrem Studio, im Hintergrund das Tagesschau-Logo. Robert fuhr fort: “Wie oft schauen Sie die Tagesschau? Sie werden sicherlich auch Zeitung lesen. Teilen Sie da die Nachrichten nicht auch in drei Kategorien ein? Gute Nachrichten, schlechte Nachrichten und Nachrichten, die Sie einfach so hinnehmen? Bei allem, was Ihnen am Tag passiert: Sie können alles in drei Kategorien fassen: Alles, was gut ist, alles, was schlecht ist, alles, was neutral ist.”
Jetzt war eine Sportszene zu sehen: Zwei Fußballer, die um einen Ball kämpften. Einer von beiden hatte das weiße Deutschland-Trikot, ein anderer trug das orange Trikot der Niederlande.
“Gehen wir zum Sport. Fußball zum Beispiel. Tennis und Volleyball sind weniger gute Beispiele. Aber im Fußball, im Schach, seltener auch im Handball gibt es neben Sieg und Niederlage auch eine dritte Möglichkeit: Unentschieden, remis, neutral.”
Wieder wechselte das Dia. Diesmal ein Mann und eine Frau, die sich küssten. Ein sehr romantisches Bild, fand Andreas. Er sah zu dem blonden Mädchen neben sich und ertappte sie dabei, wie sie ebenfalls ihn anschaute. Sie war eigentlich kein Mädchen, sondern eine Frau Anfang 30. Aber irgendwie wirkte sie trotzdem wie ein junges Mädchen. Etwas unbedarft, etwas naiv.
Robert fuhr fort: “Sie sagen, es gibt zwei Geschlechter. Schauen Sie nur in Ihre Grammatik. Das stimmt gar nicht. Neben Maskulinum und Femininum gibt es noch ein drittes grammatikalisches Geschlecht - das Neutrum. Und im Deutschen werden damit Menschen belegt, die noch nicht geschlechtsreif sind: das Kind, das Mädchen - mittlerweile hat sich da die Bedeutung ausgedehnt. Auch geschlechtsreife Frauen bezeichnen wir als Mädchen, wenn sie einigermaßen jung sind. Aber egal. Ursprünglich war das nicht so. Kinder sind geschlechtsneutral. Aber schauen wir doch mal generell in die Natur. Beim Menschen kommen sie seltener vor, aber bei Pflanzen umso häufiger:”
Das Dia sprang um und zeigte eine Blume. Robert sprach ohne Pause weiter: “Zwitter, die männliche UND weibliche Geschlechtsorgane haben. Nehmen wir die Blüte. Sie wird ja von Insekten befruchtet. Die holen sich die Pollen ab und leiten sie weiter zum Stempel einer anderen Blüte. Die Pollen sind männlich der Stempel ist weiblich. Männlich, weiblich, Zwitter. Drei Geschlechter. Gut, schlecht, neutral. Drei Eigenschaften, Nachrichten aufzufassen. Positiv, negativ, neutral. Drei Arten von Teilchen, aus denen Atome bestehen. Das ganze menschliche Grunddenken lässt sich zurückführen auf die elementarsten Eigenschaften der Natur. Positiv, negativ, neutral. Glauben Sie wirklich, wir können eine glaubhafte künstliche Welt schaffen, die nur aus Nullen und Einsen besteht?”
Und er ließ sich feiern. Er nahm den Applaus auf wie eine berauschende Droge. Er grinste so wie damals, als Andreas’ Klamotten unter der Dusche lagen. Er winkte den Leuten zu wie ein Star auf dem roten Teppich. Alles schien perfekt inszeniert - mit wenigen, aber effektvoll eingesetzten Mitteln. Als ob er sagen wollte: Ich habe den Stein der Weisen entdeckt. Und das schlimme war: Er schien es selbst zu glauben.
“Danke!” sagte er. “Vielen Dank! Dankeschön!” Wie Thomas Gottschalk.
Und dann begann er seinen Vortrag - nicht gerade bescheiden: “Meine Damen und Herren, dieser Abend wird Ihr Leben verändern. Und das ist nicht nur so daher gesagt. Schauen Sie mich an. Ich bin ein erfolgreicher Buchautor. Ich habe eine Weltanschauungsgemeinschaft gegründet - ich vermeide bewusst das Wort Religion. Ich kriege jede Frau, die ich haben will. Ich kriege immer einen Parkplatz. Was ich will, bekomme ich auch. Ich bin in allem, was ich tue erfolgreich. Und Sie können das auch.”
Andreas wagte das zu bezweifeln. Ihm wurde jetzt schon schlecht.
“Positives Denken”, fuhr Robert fort. “Das ist der ganze Trick. Das allein reicht aber nicht aus. Sie müssen daran glauben. Sie müssen glauben, dass es funktioniert. Es darf nicht der geringste Zweifel aufkommen. Wir Menschen haben mehr Einfluss auf unsere Umgebung, als Ihnen bewusst ist. Wir leben in einer Welt, die wir kaum verstehen, die wir aber beeinflussen können mit unseren Gefühlen und Gedanken. Wir sind von unserer Umwelt nicht abgekoppelt, sondern mit ihr verbunden, und diese Verbindung müssen wir verstehen.”
Zum ersten Mal änderte sich das Dia auf der Leinwand. Es zeigte jetzt eine Szene aus dem Film Matrix. Neo, wie er sich nach hinten bog, um einer Kugel auszuweichen. Und Robert sagte: “Sie kennen alle den Film Matrix. Die Menschen leben alle in einer virtuellen Welt, die von Maschinen generiert ist. Eine Welt, die nur aus Code besteht. Und mitten in dieser Welt lebt Neo. Er ist der einzige, der diesen Code begreift und ihn für sich nutzen kann. Das macht ihn zum Auserwählten. Weil er den Code für seine Zwecke beeinflussen kann, bekommt er die Fähigkeiten eines Superhelden. Was aber ist, wenn ich Ihnen sage, dass der Film Matrix nichts anderes ist als eine kodierte Botschaft über die Welt, in der wir leben? Was ist, wenn unsere Welt tatsächlich aus Code besteht? Und was, wenn ich Ihnen sage, dass jeder von uns zum Neo werden kann?”
“Dann würde ich dir sagen: Du bist verrückt”, flüsterte Andreas dem blonden Mädchen neben ihm zu. Sie schien es lustig zu finden, denn sie kicherte und grinste ihn an, reagierte aber nicht weiter, sondern richtete ihre Aufmerksamkeit wieder nach vorne.
“Neo ist griechisch und heißt neu”, fuhr Robert fort. “Neo ist nichts weiter als der Prototyp des Neuen Menschen. Der Neue Mensch, der nicht Sklave der Welt ist, die ihn umgibt, sondern der sich seines Standpunktes in der Welt bewusst ist. Der sich seine Welt so erschafft, wie er sie haben will. Der die Grenzen dessen, was wir Realität nennen, bewusst durchbricht. Der Neue Mensch ist ein Mensch, dessen Bewusstsein erweitert ist.”
Andreas war das alles etwas zu esoterisch. Aber gut, er war ja nicht hergekommen, um den Vortrag gut zu finden. Er wollte ihn sich kritisch anschauen, seine eigene Meinung dazu bilden. Und bisher war diese Meinung schlicht und einfach: Bullshit.
Wieder änderte sich das Dia. Jetzt zeigte es einen Binärcode - lauter Nullen und Einsen - grün auf schwarz, so wie die Matrix-Schrift. Aber es war jetzt eine echte Matrix, und Andreas hatte den Verdacht, dass der Code irgendeinen Sinn ergab, aber er konnte diesen Binärcode nicht interpretieren.
“Neo bewegt sich in einer virtuellen Welt”, sagte Robert. “Also betrachten wir zunächst einmal die virtuelle Welt. Da gibt es das Internet, da gibt es soziale Netzwerke, da gibt es Online-Rollenspiele. Wir lesen und schreiben Texte, wir hören Musik, wir schauen uns Fotos und ganze Filme an - und doch wissen wir genau, dass das alles nur Code ist. Unsere ganze virtuelle Welt ist ein Code, der nur aus zwei Bausteinen besteht: Nullen und Einsen. Eins heißt, es fließt Strom. Null heißt, es fließt kein Strom. So simpel. Und doch haben wir Menschen aus diesen beiden Bausteinen eine ganze Welt geschaffen.”
Niemand wusste das besser als Andreas, der immerhin bei Lemuria arbeitete, und er musste sich eingestehen, dass Robert nun langsam anfing, die Welt des Bullshits zu verlassen.
“Jetzt sind Code und Kodierung nichts spezifisch Menschliches”, sagte Robert. “Und das ist das Verblüffende, meine Damen und Herren. Es weiß jeder, aber kaum jemand hat sich je darüber Gedanken gemacht, was es wirklich bedeutet. Denn die Natur selbst - oder Gott, wenn Sie so wollen - tut nichts anderes als wir Menschen. Unsere ganze Welt ist - wie die virtuelle Welt auch - aus Code aufgebaut. Unsere Welt ist Code.”
Das Dia wechselte ein weiteres Mal und zeigte ein Sammelsurium von verschiedenen Lebewesen. Da war ein Fliegenpilz, da war aber auch ein Pantoffeltierchen, ein Gorilla, eine Antilope, ein Löwe, eine Heuschrecke, ein Tausendfüßer, eine Kuh, ein Mammutbaum, eine Orchidee, Algen und nicht zuletzt ein Mensch.
“Zum Beispiel das Leben”, setzte Robert seinen Vortrag fort. “Es gibt kaum etwas vielfältigeres: Menschen, Tiere, Pflanzen, Pilze, Einzeller, Bakterien - sogar nicht lebende Gebilde wie Viren. So vielfältig und komplex diese Welt des Lebens auch ist: Es ist zurückzuführen auf einen Code, der nur aus wenigen Bausteinen besteht.”
Andreas kannte den Genetischen Code noch aus dem Biologie-Unterricht, und so ahnte er, was jetzt kommen würde:
“Jedes Lebenwesen hat einen Bauplan, und dieser Bauplan ist in jeder einzelnen Zelle aller Lebewesen gespeichert. Dieser Bauplan entscheidet, ob ich Mensch bin oder Insekt. Dieser Bauplan entscheidet, ob ich groß bin oder klein. Ob ich eine Erbkrankheit habe. Ob ich klug bin oder dumm. Ob ich schön bin oder hässlich. Und dieser Bauplan ist im Zellkern. Sie kennen ihn alle.”
Wieder wechselte das Dia. Jetzt war die Doppelspirale der DNA zu sehen, die Andreas schon unzählige Male auf Grafiken in Büchern oder im Fernsehen gesehen hatte. Wie immer in rot und blau dargestellt.
“Die Desoxyribonukleinsäure - oder kurz DNS - international DNA”, sagte Robert. “Hier ist sie abgebildet. Die Doppelhelix - eine große Spirale. Der Clou an der ganzen Geschichte: Ähnlich wie die virtuelle Welt - Nullen und Einsen - ist auch die Welt des Lebens kodiert. Allerdings nicht in einem Zweiersystem, einem Binärsystem, sondern in einem Vierersystem, also einem Tetranärsystem. Wir haben vier verschiedene Bausteine. Adenin, Cytosin, Guanin und Thymin. Alle Lebewesen, die wir kennen, sind nach diesem Code konstruiert. Nicht 0 und 1, sondern A, C, G und T. So einfach ist das. Als hätte eine Intelligenz sich das ausgedacht.”
Jetzt erschien ein Bauarbeiter auf der Leinwand. Er trug einen gelben Helm und war dabei, ein Holzbrett mit einer Kettensäge zu zersägen.
“Aber damit nicht genug”, sagte Robert. “Gehen wir jetzt zur Materie selbst - zu dem, was die Welt im Innersten zusammenhält. Schon die alten Griechen kannten den Gedanken, dass Materie nicht unendlich teilbar ist. Wenn ich ein Holz zersäge - so wie der Mann hier auf dem Bild - und zersäge das nochmal und wieder und wieder und immer wieder, dann komme ich irgendwann an einen Punkt, an dem ich es - selbst wenn es technisch möglich wäre - nicht mehr weiter zersägen kann, weil ich das kleinste Teil, das sogenannte Atom erreicht habe. Erst sehr viel später hat die Menschheit herausgefunden, dass es Atome wirklich gibt. Wir haben herausgefunden, was sie sind, aus was sie bestehen und sogar, wie man ihren Kern spalten kann.”
Die Leinwand zeigte jetzt ein Atom - oder vielmehr: die vereinfachte Darstellung eines Atoms. In der Mitte ein Punkt, und um diesen Punkt herum waren elliptische Bahnen eingezeichnet, auf jeder elliptischen Bahn befand sich ein Punkt.
“So stellen sich die meisten ein Atom vor”, erklärte Robert das Bild. “Ein paar Elektronen, die um einen Atomkern kreisen wie Planeten um eine Sonne. Das ist nicht ganz falsch. Aber es ist nur ein Modell. Modelle sind dazu da, uns Dinge zu erklären, die wir sonst nicht verstehen können. Dieses Modell, das Planetenmodell, stammt von Niels Bohr. Es ist ein wenig veraltet, aber nach wie vor gut, Einsteigern in die Atomphysik - und ich erlaube mir mal, Sie meine Damen und Herren, dazu zu zählen, klar zu machen, was ein Atom überhaupt ist.”
Wieder wechselte das Dia. Diesmal zeigte es die Zeichnung eines Planeten - oder eines kleinen Punktes, der um die Sonne - oder um einen großen Punkt - kreiste. Auf der Sonne war ein kleines Plus abgebildet, auf dem Planeten ein kleines Minus.
“Hier sehen Sie ein Wasserstoffatom”, sagte Robert, “das einfachste aller Atome. In der Mitte ein Proton, umkreist von einem Elektron. Und hier sind wir wieder bei unserem Code: Jede Materie, jedes Element, alles, was wir kennen, besteht im Grunde nur aus drei Bauteilen: Protonen, Neutronen und Elektronen. Die Protonen und Neutronen im Atomkern werden von den Elektronen - nach diesem Planetenmodell - umkreist. Wir haben also positiv geladene Teilchen, negativ geladene Teilchen und neutral geladene Teilchen. Positiv, negativ, neutral. Kommt Ihnen das nicht bekannt vor?”
Natürlich kam das Andreas bekannt vor. Die ganze Welt bestand aus positiv, negativ und neutral Aber natürlich musste Robert auch darauf herumreiten: Das nächste Bild zeigte die runde und etwas unbedarfte Schrift eines Teenagers auf Karopapier: “Willst du mit mir gehen?” Und dazu drei Antwortmöglichkeiten: Ja, nein und vielleicht.
“Wie viele von Ihnen haben diesen Zettel schon gelesen oder vielleicht selbst geschrieben?”, sagte Robert. “Willst du mit mir gehen? Ja, nein, vielleicht.”
Als nächstes zeigte die Leinwand das Halbrund des Bundestags - gefüllt mit Parlamentariern, die gerade über einen Antrag abstimmten: Mindestens die Hälfte hielt die Hand nach oben. Robert sagte: “Wenn im Bundestag eine Abstimmung ansteht, haben die Abgeordneten drei Möglichkeiten, sich zu entscheiden: Ja, nein und Enthaltung.”
Wieder wechselte das Bild. Das tat es jetzt recht häufig. Jetzt war die Tagesschau zu sehen. Judith Rakers saß in ihrem Studio, im Hintergrund das Tagesschau-Logo. Robert fuhr fort: “Wie oft schauen Sie die Tagesschau? Sie werden sicherlich auch Zeitung lesen. Teilen Sie da die Nachrichten nicht auch in drei Kategorien ein? Gute Nachrichten, schlechte Nachrichten und Nachrichten, die Sie einfach so hinnehmen? Bei allem, was Ihnen am Tag passiert: Sie können alles in drei Kategorien fassen: Alles, was gut ist, alles, was schlecht ist, alles, was neutral ist.”
Jetzt war eine Sportszene zu sehen: Zwei Fußballer, die um einen Ball kämpften. Einer von beiden hatte das weiße Deutschland-Trikot, ein anderer trug das orange Trikot der Niederlande.
“Gehen wir zum Sport. Fußball zum Beispiel. Tennis und Volleyball sind weniger gute Beispiele. Aber im Fußball, im Schach, seltener auch im Handball gibt es neben Sieg und Niederlage auch eine dritte Möglichkeit: Unentschieden, remis, neutral.”
Wieder wechselte das Dia. Diesmal ein Mann und eine Frau, die sich küssten. Ein sehr romantisches Bild, fand Andreas. Er sah zu dem blonden Mädchen neben sich und ertappte sie dabei, wie sie ebenfalls ihn anschaute. Sie war eigentlich kein Mädchen, sondern eine Frau Anfang 30. Aber irgendwie wirkte sie trotzdem wie ein junges Mädchen. Etwas unbedarft, etwas naiv.
Robert fuhr fort: “Sie sagen, es gibt zwei Geschlechter. Schauen Sie nur in Ihre Grammatik. Das stimmt gar nicht. Neben Maskulinum und Femininum gibt es noch ein drittes grammatikalisches Geschlecht - das Neutrum. Und im Deutschen werden damit Menschen belegt, die noch nicht geschlechtsreif sind: das Kind, das Mädchen - mittlerweile hat sich da die Bedeutung ausgedehnt. Auch geschlechtsreife Frauen bezeichnen wir als Mädchen, wenn sie einigermaßen jung sind. Aber egal. Ursprünglich war das nicht so. Kinder sind geschlechtsneutral. Aber schauen wir doch mal generell in die Natur. Beim Menschen kommen sie seltener vor, aber bei Pflanzen umso häufiger:”
Das Dia sprang um und zeigte eine Blume. Robert sprach ohne Pause weiter: “Zwitter, die männliche UND weibliche Geschlechtsorgane haben. Nehmen wir die Blüte. Sie wird ja von Insekten befruchtet. Die holen sich die Pollen ab und leiten sie weiter zum Stempel einer anderen Blüte. Die Pollen sind männlich der Stempel ist weiblich. Männlich, weiblich, Zwitter. Drei Geschlechter. Gut, schlecht, neutral. Drei Eigenschaften, Nachrichten aufzufassen. Positiv, negativ, neutral. Drei Arten von Teilchen, aus denen Atome bestehen. Das ganze menschliche Grunddenken lässt sich zurückführen auf die elementarsten Eigenschaften der Natur. Positiv, negativ, neutral. Glauben Sie wirklich, wir können eine glaubhafte künstliche Welt schaffen, die nur aus Nullen und Einsen besteht?”
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00010100 - Kriegserklärung
mercury mailer, 22:45h
Die Bäume hatten ihre Blätter schon verloren, und ein Hauch von Winter lag in der Luft. Die Zugvögel hatten es nicht mehr ausgehalten, und sie waren nach Afrika aufgebrochen. Andreas vermisste ihren Gesang, der sonst die Luft erfüllte. Dafür hatten jetzt die Krähen ihr Winterkonzert begonnen, und unter einem bedeckten Himmel zogen vereinzelt Nebenschwaden über das Land. Es roch ein wenig rauchig, als Andreas sich auf den Heimweg machte. Längst hatten die meisten Schüler das Gelände verlassen. Er hatte wieder länger als die anderen gebraucht, seine Schultasche zu packen. Jetzt trödelte er durch den hinteren Pausenhof - damals noch als Raucherhof bekannt, denn 1987 durften die Schüler noch in der Schule rauchen - wenn auch nur an einem einzigen Ort in der Schule, nur in den Pausen und nur ab der 11. Klasse.
Andreas spazierte an den Sportanlagen vorbei, passierte das Hausmeister-Kabuff, aus dem der Klang einer Elektrosäge tönte, und warf einen kurzen Blick auf das Denkmal des Abiturjahrgangs 1986 - eine simple weiße Pyramide - ungefähr so hoch wie Andreas’ Knie.
Er hatte gerade den Schulhof verlassen, als ihn plötzlich jemand am Arm packte, herumschleuderte und an die Wand des Schulgebäudes drückte, das hier bis zur Grundstücksgrenze heranreichte. Es waren zwei Jungs aus seiner Klasse. Zwei gegen einen. Wie unfair! Aber vielleicht wollte Robert auf Nummer Sicher gehen. Denn er war einer von beiden. Der andere war Roberts Vize. Vize war Verenas Ausdruck für Florian Neumann - eigentlich Roberts bester Freund. Aber in dieser Freundschaft spielte er nur eine untergeordnete Rolle. So wie Harry bei Derrick, oder - wie der Andreas von 2012 sagen würde - Smithers bei Mr Burns. Flo, wie er sich gerne selber nannte, war Roberts Assistent, und niemals hatte er ein böses Wort über ihn verloren - während Robert ihn gerne als Trottel bezeichnete, wenn er nicht dabei war.
“So, du Sackratte!” sagte Robert. “Jetzt möchte ich mal was klarstellen: Bisher warst du für mich nur ein Trottel, ein Loser, ein Vollidiot. Aber das hat sich jetzt geändert. Ab jetzt bist du ein Arschloch! Eine Petze! Ein Kameradenschwein! Was hast du mich bei Herrn Hartmann verpetzt, du Schwanzlutscher?”
Zack! Schon saß Florians Faust in seinem Gesicht. Robert wollte sich anscheinend nicht die Finger schmutzig machen und ließ das seinen Schergen besorgen.
“Es ging nicht anders”, jammerte Andreas, dessen Nerven empfindlicher waren als die anderer Leute, was er damals aber noch nicht wusste.
“Wie, es ging nicht anders? Hättest du verdammt noch mal die Fresse gehalten!”
Wieder ein Faustschlag in Andreas’ Gesicht, der sich nicht wehren konnte, da beide ihn festhielten.
“Jetzt will ich dir mal was erzählen, kleiner Drecksack: Meine Alten haben tierisch Stress geschoben wegen der ganzen Nummer. So, und jetzt hab ich Hausarrest. Aber das ist noch nicht alles: Ich wurde zum Direx geschickt und abgemahnt. Und damit du kleiner Wichser das auch verstehst, übersetze ich das in deine Sprache: Noch so ein Ding, und ich fliege von der Schule. Und wenn ich von der Schule fliege, das schwöre ich dir, landest du im Krankenhaus. Ab jetzt herrscht Krieg. Und ich sag dir eins: Gegen das, was kommt, war das, wie wir dich bisher behandelt haben, Kindergarten. Und gleich heute fangen wir damit an.”
Robert hatte wohl genug von Worten und ließ jetzt seine Fäuste sprechen. Es schien ihm also doch egal zu sein, ob er sich seine Finger schmutzig machte oder nicht. Schon landete wieder ein Faustschlag in seinem Gesicht, ein anderer in der Magengrube. Andreas ging zu Boden, doch die anderen machten weiter. Sie traten auf ihn ein, kickten ihm in den Bauch, gegen die Beine, ins Gesicht, in die Eier. Es dauerte nicht lange, aber es war die Hölle, und als sie endlich von ihm abließen und im Fahrradhof verschwanden, blieb Andreas noch eine Weile liegen. Er hatte jetzt zu große Schmerzen, um aufstehen zu können. Doch er sah die ganze Zeit nur eines. Roberts grinsendes Gesicht.
Andreas spazierte an den Sportanlagen vorbei, passierte das Hausmeister-Kabuff, aus dem der Klang einer Elektrosäge tönte, und warf einen kurzen Blick auf das Denkmal des Abiturjahrgangs 1986 - eine simple weiße Pyramide - ungefähr so hoch wie Andreas’ Knie.
Er hatte gerade den Schulhof verlassen, als ihn plötzlich jemand am Arm packte, herumschleuderte und an die Wand des Schulgebäudes drückte, das hier bis zur Grundstücksgrenze heranreichte. Es waren zwei Jungs aus seiner Klasse. Zwei gegen einen. Wie unfair! Aber vielleicht wollte Robert auf Nummer Sicher gehen. Denn er war einer von beiden. Der andere war Roberts Vize. Vize war Verenas Ausdruck für Florian Neumann - eigentlich Roberts bester Freund. Aber in dieser Freundschaft spielte er nur eine untergeordnete Rolle. So wie Harry bei Derrick, oder - wie der Andreas von 2012 sagen würde - Smithers bei Mr Burns. Flo, wie er sich gerne selber nannte, war Roberts Assistent, und niemals hatte er ein böses Wort über ihn verloren - während Robert ihn gerne als Trottel bezeichnete, wenn er nicht dabei war.
“So, du Sackratte!” sagte Robert. “Jetzt möchte ich mal was klarstellen: Bisher warst du für mich nur ein Trottel, ein Loser, ein Vollidiot. Aber das hat sich jetzt geändert. Ab jetzt bist du ein Arschloch! Eine Petze! Ein Kameradenschwein! Was hast du mich bei Herrn Hartmann verpetzt, du Schwanzlutscher?”
Zack! Schon saß Florians Faust in seinem Gesicht. Robert wollte sich anscheinend nicht die Finger schmutzig machen und ließ das seinen Schergen besorgen.
“Es ging nicht anders”, jammerte Andreas, dessen Nerven empfindlicher waren als die anderer Leute, was er damals aber noch nicht wusste.
“Wie, es ging nicht anders? Hättest du verdammt noch mal die Fresse gehalten!”
Wieder ein Faustschlag in Andreas’ Gesicht, der sich nicht wehren konnte, da beide ihn festhielten.
“Jetzt will ich dir mal was erzählen, kleiner Drecksack: Meine Alten haben tierisch Stress geschoben wegen der ganzen Nummer. So, und jetzt hab ich Hausarrest. Aber das ist noch nicht alles: Ich wurde zum Direx geschickt und abgemahnt. Und damit du kleiner Wichser das auch verstehst, übersetze ich das in deine Sprache: Noch so ein Ding, und ich fliege von der Schule. Und wenn ich von der Schule fliege, das schwöre ich dir, landest du im Krankenhaus. Ab jetzt herrscht Krieg. Und ich sag dir eins: Gegen das, was kommt, war das, wie wir dich bisher behandelt haben, Kindergarten. Und gleich heute fangen wir damit an.”
Robert hatte wohl genug von Worten und ließ jetzt seine Fäuste sprechen. Es schien ihm also doch egal zu sein, ob er sich seine Finger schmutzig machte oder nicht. Schon landete wieder ein Faustschlag in seinem Gesicht, ein anderer in der Magengrube. Andreas ging zu Boden, doch die anderen machten weiter. Sie traten auf ihn ein, kickten ihm in den Bauch, gegen die Beine, ins Gesicht, in die Eier. Es dauerte nicht lange, aber es war die Hölle, und als sie endlich von ihm abließen und im Fahrradhof verschwanden, blieb Andreas noch eine Weile liegen. Er hatte jetzt zu große Schmerzen, um aufstehen zu können. Doch er sah die ganze Zeit nur eines. Roberts grinsendes Gesicht.
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